"Kinder sollen auch andere Sportarten probieren"
Weg vom frühen Leistungsdruck: FC Bayern nimmt U10 und U9 aus dem Spielbetrieb

02.05.2020 | Stand 19.09.2023, 1:34 Uhr

Eine jubelnde F-Jugend des FC Bayern: Das wird es künftig nicht mehr geben. −Foto: Sigl

Je früher, desto besser: Dieses Motto gibt bei der Ausbildung von Fußballtalenten immer mehr die Richtung vor. Zum Teil wechseln heute schon F-Jugendspieler den Verein oder werden von Profiklubs abgeworben. Der FC Bayern will diesem Trend nun einen Riegel vorschieben − und nimmt künftig die U9 (älterer F-Jugend-Jahrgang) und die U10 (jüngerer E-Jugend-Jahrgang) aus dem Spielbetrieb.

Auf seiner Vereinshomepage informierte der Rekordmeister am Wochenende über diesen ungewöhnlichen und durchaus überraschenden Schritt. Der Grundlagenbereich im Nachwuchsfußball soll stufenweise umstrukturiert werden, heißt es. Konkret planen die Münchner, zur Saison 2021/2022 die U9-Mannschaft und ein Jahr später dann auch die U10 aus dem Spielbetrieb zu nehmen. "Die fußballerische Ausbildung am FC Bayern Campus wird somit zukünftig erst mit der U11 starten", so der Verein.

Im Werben um die besten Talente geht der Trend bei Profiklubs eigentlich dazu, immer jüngere Spieler an den Verein zu binden. Die Bayern selbst sorgten vor einem Jahr für Schlagzeilen, als sie gleich drei Spieler von Nachbar FT Gern an den Campus lotsten, wo sie dann in der U9 aufliefen − die jungen Kicker waren gerade einmal acht Jahre alt. Vor allem die Art und Weise wie um die Talente gebuhlt worden sei, wurde von Michael Franke, 1. Vorsitzender der FT Gern, heftig kritisiert. Mit diesem Werben im Münchner Umfeld soll es künftig vorbei sein, zumindest in den Jahrgängen bis zur U10.

"Der FC Bayern ist sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerade für die ganz jungen Fußballer im Raum München und den angrenzenden Regionen bewusst", begründet Holger Seitz die neue Ausrichtung. Der Niederbayer (Malching) arbeitet als stellvertretender sportlicher Leiter am FC Bayern Campus und gilt nicht als Freund davon, Spieler zu früh aus ihrer vertrauten Umgebung herauszureißen. "Den Kindern soll es mit diesem Schritt ermöglicht werden, sich länger ohne Leistungsdruck und ohne zusätzlichen zeitlichen Aufwand in ihrem gewohnten Umfeld des Heimatvereins entwickeln zu können", erklärt Seitz.

"Das ist eine Entscheidung pro Kind", sagt auch Peter Wenninger, der beim FC Bayern die Bereiche von der U9 bis zur U15 verantwortet. Der Nachwuchsspezialist hatte bereits in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse zu Beginn des vergangenes Jahres davor gewarnt, Spieler zu früh zu verpflichten. Schon damals forderte Wenninger außerdem, den polysportiven Gedanken mehr zu fördern. Dieser würde vielen Kindern fehlen, "weil sie von ihren Eltern mit fünf Jahren in den Fußballverein gesteckt werden, damit sie auch ganz gewiss Profis werden".

Mit der Entscheidung, künftig erst ab der U11 in den Spielbetrieb zu starten, wollen die Bayern gegensteuern. "Wir wollen mit diesem Schritt mehr Gestaltungsmöglichkeit in der Freizeit der ganz jungen Kinder erreichen, dass sie auch die Möglichkeit haben, andere Sportarten auszuprobieren", sagt Wenninger. "Langzeitstudien haben ergeben, dass das Erlernen unterschiedlicher sportlicher Fertigkeiten und Fähigkeiten positiven Einfluss auf das fußballerische Leistungsvermögen jedes einzelnen haben kann."

Ganz aus dem Blick verlieren wollen – und werden – die Bayern junge Talente aus dem Raum München freilich nicht. "Um auch weiterhin die gezielte Förderung talentierter Spieler in München und den angrenzenden Regionen gewährleisten zu können, werden ab der Saison 2020/21 zusätzlich zu den Trainingseinheiten in den Heimatvereinen regelmäßig Förderkader-Trainingseinheiten im Altersbereich U7 und U8 am FC Bayern Campus stattfinden", informiert der Verein. Ab der Saison 2021/22 soll diese Maßnahme dann auf vier weitere Standorte in der Region München und um den Altersbereich U9 ausgebaut werden, ein Jahr später kommt auch der U10-Jahrgang dazu. Die besten Nachwuchsspieler dürften dann schon auf dem Zettel stehen, wenn es um die Besetzung des Kaders für die U11 geht.

Diese Spieler sollen freilich aus dem Münchner Umfeld kommen. Erst wenn es um einen Platz im Wohngebäude des Campus geht, wird dann deutschlandweit bzw. international gescoutet, diese Spieler werden laut Wenninger bei den Bayern ab der U14 verpflichtet. "Wir sind insgesamt eher der Ansicht, die Kinder sollen solange wie möglich bei ihren Eltern sein. Aber in gewisser Weise müssen wir den Trend auch ein bisschen mitmachen, denn wenn sich ein Junge für ein anderes NLZ entschieden hat, ist es natürlich umso schwieriger, ihn dann da wieder weg zu holen. Aber grundsätzlich versuchen wir schon, eher länger zu warten. Manche verpflichten ja schon 12-Jährige und bringen sie in Gastfamilien unter – so etwas machen wir nicht."

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