Regionalliga Bayern
Mr. Wacker: Wie der Passauer Christoph Schulz in Burghausen seine zweite Heimat fand

22.02.2023 | Stand 17.09.2023, 2:26 Uhr

Der Blick über das verschneite Burghausen: Mittlerweile, so erzählt der gebürtige Passauer, ist die Stadt mindestens seine zweite Heimat.

Zwölf Jahre im schwarz-weißen Dress, seit 2020 Kapitän: Der Passauer Christoph Schulz verkörpert Wacker Burghausen wie kein anderer: Geplant war das nie. Wieso es dennoch dazu kam, hat er uns bei einem Treffen über den Dächern von Burghausen erzählt.

Für ein Gespräch mit Christoph Schulz gibt es wohl keinen passenderen Ort als diese Aussichtsplattform. Hier oben, auf der anderen Seite der Salzach, im österreichischen Ach, hat man laut einiger Touristenforen den besten Blick über Burghausen. Über die Stadt, in der der Kapitän des SV Wacker seit acht Jahren lebt. Doch nicht nur das, an keinem anderen Ort wird wohl verständlicher, weshalb Christoph Schulz gerade erst wieder seinen Vertrag bis 2026 verlängert hat.

Also die Serpentinen rauf zu der Plattform in Ach. Die Laternen tauchen sie in ein sanftes Dämmerlicht. Es ist ruhig, die Parkplätze sind frei, die Imbissbude ist winterfest verrammelt, nur der Schnee knirscht, als Christoph Schulz eine Bank ansteuert. „Hier hatte ich eins meiner ersten Dates mit meiner Verlobten“, erzählt er. Dort drüben, er zeigt auf den vorderen Teil der Burg, wird dann im Sommer die Hochzeitsfeier stattfinden. Und im Norden sind die Spitzen des Wackergeländes zu erkennen, wo er arbeitet und Fußball spielt. Es sind Assoziationen wie diese, die „Burghausen mittlerweile mindestens zu meiner zweiten Heimat machen“, sagt der gebürtige Passauer. Und das wiederum war entscheidend für seine Verlängerung. Sie besiegelte, dass Schulz mindestens 15 Jahre für Wacker spielen wird.

Schulz ist kein Kapitän der alten Schule



„Ich fühle mich sowohl im Verein als auch in der Stadt nach wie vor sehr wohl und habe neben dem Fußball einen Job bei der Wacker Chemie AG, der mir viel Spaß bereitet“, schwärmte er in der Vereinsmitteilung zur Verlängerung. Die Resonanz danach war überwältigend, sagt er zwei Wochen später der PNP. Regelmäßig sprechen ihn seither Fans und Jugendspieler auf der Straße an und freuen sich über seinen Verbleib. „Dadurch wurde mir das erste Mal so wirklich klar, dass ich jetzt eine Art Identifikationsfigur bin.“ Dabei dürfte er das schon länger sein, schließlich ist Schulz über seine langjährigen Verbundenheit hinaus auch seit 2020 Kapitän. Als dieser ist er kein lautstarker Plärrer, das merkt man auch außerhalb der Kabine. Schulz, 26, die Haare akkurat nach hinten gegelt, gepflegter Dreitagebart, wählt seine Worte mit Bedacht, posaunt nichts unüberlegt hinaus. Er ist mehr Marke Philipp Lahm als Stefan Effenberg.

Diesen Eindruck bestätigt auch Teammanager Karl-Heinz Fenk: „Für das Team und das gesamte Nachwuchsleistungszentrum ist ‚Schulzi‘ ein Vorbild.“ Er kennt ihn seit knapp zehn Jahren, erlebt ihn seither als ruhigen Typ, dennoch habe sein Wort sowohl in der Mannschaft als auch im Verein hohes Gewicht. „Er ist das Sinnbild für den SV Wacker.“ Ein Fakt, der allerdings lange nicht abzusehen war. Ein Rückblick.

Bei Schulz findet Umdenken mit Reamateurisierung statt



Sommer 2011: Über seinen Heimatverein Patriching, den FC Vilshofen und die Spvgg GW Deggendorf wechselt er mit 14 Jahren ins Burghauser NLZ. „Das war erreichbar und in der Region die höchste Liga, die man spielen konnte“, sagt Schulz. In der Jugend ist er Stammspieler, meist als Rechtsverteidiger aufgestellt, beackert er über 90 Minuten die Außenbahn. Das ändert sich, als er in den Herrenbereich aufrückt. Schulz ist ohnehin nur einer von drei Spielern im Team, die den Sprung schaffen. „Ich war damals unheimlich froh, aber habe nicht groß weitergedacht“, erinnert sich Schulz. Er ist jetzt Profi, drei Jahre nach dem Wechsel.

„Das Abitur habe ich in Freudenhain irgendwie geschafft und bin dann nach Burghausen gezogen.“ Doch schon nach seiner ersten Saison steht er wegen weniger Einsätze kurz vor dem Absprung. In den nächsten zwei Spielzeiten kommt der Rechtsverteidiger mehr zum Zug. Dann, im Sommer 2017, folgt die Reamateurisierung. Für Schulz im ersten Moment ein Schock. „Ich habe dann aber relativ schnell begriffen, dass das eine Chance für mich sein kann.“

Und so kommt es: Er entwickelt sich zur Stammkraft, genießt höheres Ansehen im Verein und studiert parallel zum Fußball in Passau Wirtschaftsinformatik. „In diesen Jahren hat bei mir auch ein Umdenken stattgefunden“, erzählt Schulz. Der Profitraum rückt erstmals in den Hintergrund. „Ich habe verstanden, dass ich das ständige Höherstreben im Sport vielleicht damit bezahle, mir eine gute Perspektive zu verbauen.“ Aber ist das nicht anstrengend, ständig zwischen Amateur und Profi zu schweben? Und wie plant Schulz nach 2026?

Wegen der Minusgrade auf der Aussichtsplattform Ortswechsel in seine Wohnung. Seit einem Jahr wohnt er mit seiner Verlobten in dem modernen Neubau in Burghausens Zentrum. Er fährt mit dem Rad zum Training, und wenn er nicht gerade im Homeoffice wie an diesem Tag ist, dann auch in die Arbeit. Seit eineinhalb Jahren ist er IT-Administrator bei Wacker. Derzeit ist er der einzige aus dem Team, der dort angestellt ist. Auch das trägt zum Eindruck bei, dass er den Verein verkörpert wie kein anderer. Wenngleich er im Betrieb keinerlei Vorzüge dadurch erhält, wie er betont.

Aber freilich helfe es, wenn der Chef Verständnis dafür hat, dass er sich unter der Woche mal für ein Fußballspiel Urlaub nehmen muss. „Das funktioniert dann problemlos.“ Und auch sonst weiß er Vollzeitjob und Regionalligafußball gut zu vereinen. Auch wenn Schulz zugibt: „Man muss schon diszipliniert sein. Unter der Woche besteht mein Leben im Prinzip nur aus Arbeit und Fußball.“ Doch ihm ist es das wert. Zum Glück für den SV Wacker Burghausen.

Für immer Wacker? „Spricht nichts dagegen“



Wie wichtig der Kapitän für die Mannschaft ist, zeigt allein die Hinrunde: Am 15. Spieltag, Anfang Oktober, verletzt sich Schulz zur Halbzeit im Spitzenspiel gegen die Würzburger Kickers. Zu dem Zeitpunkt führt Wacker 1:0, würde mit dem Sieg bis auf zwei Punkte an den damaligen Tabellenführer heranrücken. Doch Würzburg dreht in der zweiten Hälfte das Spiel. Aus den folgenden sieben Partien bis zur Winterpause, die der Kapitän wegen eines Adduktorenabrisses allesamt verpasst, holt das Team nur vier Punkte, rutscht ab auf Platz 8. Doch gute Nachrichten zum Vorbereitungsstart: Schulz erholte sich in der Reha schneller, als vom Arzt prognostiziert. Statt erst nach sechs Monaten kann der Kapitän vier Monate nach der Verletzung wieder voll ins Training einsteigen, gab gegen Türkgücü jüngst sein Comeback. Für die Rückrunde ist die Marschroute dann klar: „So viele Spiele wie möglich gewinnen und wieder vorne mitspielen.“ Diesen Anspruch hat Schulz vor jeder Saison mit dem SV Wacker, sagt er selbst. Doch wie viele werden es noch werden?

Fest steht: Es läuft für Christoph Schulz in Burghausen. Alles passt zusammen. Wie zufrieden er ist, klingt während des zweistündigen Gesprächs immer wieder durch. „Für mich hat sich Burghausen Jahr für Jahr mehr zum Lebensmittelpunkt entwickelt.“ Nun hat er dort das volle Paket: Beruf, hochklassigen Fußball, Verlobte und auch die Nähe zur Heimat, die Schulz „extrem wichtig ist“. Eine Kombination, die anderswo kaum möglich wäre. Auch deshalb sagt er heute: „Ich habe es nicht erwartet, aber besser hätte es für mich nicht laufen können.“ Also für immer Wacker Burghausen?

Das Team sei gut, das Umfeld passe und mit dem Traum vom Profi habe er abgeschlossen, sagt Schulz abgeklärt. „Wenn sich privat und beruflich nichts groß ändert, spricht nichts dagegen, dass ich für immer bei Wacker spiele“, fügt er an.


Das Porträt ist bereits am 16. Februar in den Printausgaben der Passauer Neuen Presse erschienen.