Das große Interview, Teil 1
Bayern-II-Rückkehrer Holger Seitz: „Wir müssen Gewinner ausbilden“

01.01.2022 | Stand 17.09.2023, 6:26 Uhr

Holger Seitz ist zurück an der Linie – und glücklich mit seinem neuen Job. Die Leidenschaft für die Aufgabe als Trainer sei vielleicht doch einen Tick größer als für eine Sportliche Leitungsfunktion, urteilt der Malchinger. −Foto: imagoimages

Seit November ist er wieder zurück als Trainer des FC Bayern München II: Holger Seitz (48), niederbayerischer Fußball-Experte aus Malching, soll nach dem Wechsel von Martin Demichelis zu River Plate den Rekordmeister-Nachwuchs in der Regionalliga Bayern zurück in die Spur bringen. Wir haben uns mit Holger Seitz unterhalten. In Teil 1 unseres Interviews geht es um seinen Wechsel zurück an die Seitenlinie, ums Ausbilden und Gewinnenmüssen, und darüber, warum zuviel Fürsorge kontraproduktiv sein kann.

Herr Seitz, Sie sind nach dreieinhalb Jahren als stellvertretender und dann als Sportlicher Leiter am Campus zurückgekehrt an die Seitenlinie. Was ist der Grund?
Holger Seitz: Mein Plan war es eigentlich, drei bis vier Jahre als Sportlicher Leiter zu arbeiten, um dann noch einmal in mich zu gehen, zu reflektieren und eine Entscheidung zu treffen, welcher Weg für mich langfristig der richtige sein wird. Doch dann kam für Martin Demichelis das Angebot aus Argentinien, das er nicht ablehnen konnte. Und wir wollten Micho diese Chance auch nicht verwehren. Dadurch ist eine Dynamik entstanden, die, das möchte ich betonen, aber nicht von mir ausging. Die Verantwortlichen sind auf mich zugekommen und meinten, ich sei der am besten geeignete Trainer für diese Position. In den Gesprächen konnte ich mich immer mehr für die Aufgabe begeistern und daher habe ich schneller als zunächst geplant eine Entscheidung über meinen weiteren Weg getroffen. Und dieser wird nun langfristig an der Seitenlinie als Trainer der Amateure sein. Ich freue mich darauf.

Der FC Bayern hat Ihnen die Entscheidung quasi abgenommen.
Seitz (lacht): Kann man so sagen. Aber mein Bauchgefühl hat mir schon Signale gesendet, dass meine Leidenschaft für die Aufgabe als Trainer vielleicht doch einen Tick größer ist als für eine Sportliche Leitungsfunktion. Die Zielsetzung beider Tätigkeiten ist die Gleiche, jedoch mit unterschiedlichen Herausforderungen.
Was macht den Reiz aus, bei Bayern die U23 zu trainieren?
Seitz: Beim für mich besten Verein der Welt mitwirken zu dürfen, ist für mich grundsätzlich sehr reizvoll, egal in welcher Position. Für das große Vertrauen meiner Vorgesetzten bin ich deswegen sehr dankbar und werde all meine Erfahrungen einfließen lassen um die Jungs auf ihrem – ohnehin nicht einfachen – Weg zu begleiten und zu unterstützen.

Sie nehmen die jungen Spieler quasi an die Hand?
Seitz: Sagen wir so: Wir unterstützen sie. Viele Spieler und ihr Umfeld, also Eltern oder auch Berater, gehen heute mit einer falschen Erwartung an die Sache heran, ein bisschen nach dem Motto: So, jetzt sind wir hier im Nachwuchsleistungszentrum, jetzt ebnet mir mal bitte den Weg zum Bundesligaprofi. Das ist aber nicht so. Die Spieler sind selbst dafür verantwortlich, was sie aus ihrem Talent machen. Wir begleiten sie mit all unseren Kompetenzen, aber am Ende liegt es in ihrer Hand. Es wirklich zu wollen und aus voller Überzeugung permanent an die Leistungsgrenze zu gehen, das ist der Schlüssel zum Erfolg. Die Tür steht auf, durchgehen müssen sie schon selber.

Wurde es den jungen Spielern in Deutschland in den letzten Jahren zu leicht gemacht?
Seitz: Wir müssen aufpassen, dass wir den Spielern nicht alle Steine, die ihnen im Weg liegen, wegräumen. Wir Verantwortliche können den ein oder anderen Stein mit gutem Gewissen liegen lassen. Die Spieler müssen lernen, widerstandsfähig zu sein, mit Stresssituationen umzugehen. Und wenn man merkt, okay, ein Spieler kommt jetzt gar nicht mehr weiter, dann ist es besser, erst mal einen Hinweis zu geben, als gleich den ganz Stein zu beseitigen. Am FC Bayern Campus arbeiten wir mit den Spielern sehr gerne mit Fragen, die Spieler sollen selbst Antworten finden. Das garantiert einen nachhaltig positiven Entwicklungsprozess.

Die Ausbildung ist also zu weich?
Seitz: Im Detail kann und möchte ich nur die Arbeit in unserem NLZ bewerten. Aus den Erfahrungen der letzten Jahre bei Bayern, aber auch im Austausch mit vielen anderen Nachwuchsleistungszentren oder mit Kollegen in Österreich, Spanien oder England, hat sich bei mir die Erkenntnis durchgesetzt, dass bei der ganzen Fürsorge tatsächlich weniger mehr ist. Auch das ist ein Punkt, den wir am FC Bayern Campus vor einiger Zeit bereits angepasst haben.

Nicht erst seit der WM wissen wir, dass es mit dem deutschen Nachwuchs nicht unbedingt rosig aussieht. Ein Lichtblick ist Jamal Musiala, der wurde aber in England ausgebildet.
Seitz: Jamal hat einen Teil seiner Ausbildung in England und den anderen Teil beim FC Bayern München erhalten. Er hat bei uns alle Leistungsmannschaften, also U17, U19 und die U23 durchlaufen und definitiv wichtige Impulse, z. B. durch seinen damaligen U17-Trainer Miro Klose, erhalten.

In England gibt es bis zur U18 kein richtiges Ligensystem. Die Spieler haben also weniger Druck und mehr Zeit, sich zu entwickeln, „man kann viel freier spielen", meinte Musiala.
Seitz: Grundsätzlich glaube ich nicht, dass wir ein Problem mit dem Ligasystem haben. Die Trainer sind entscheidend. Die Wiederum brauchen Rückendeckung von den NLZ-Verantwortlichen. Im Aufbau- und Grundlagenbereich, also bei den jüngeren Jahrgängen, kann die Tabelle völlig außer Acht gelassen werden, da ist es wichtiger, andere Prioritäten zu setzen. Ab einem gewissen Alter müssen jedoch die Ergebnisse in den Fokus rücken. Wenn wir von der U17 oder U19-Bundesliga reden, dann müssen die Spieler wissen, dass es entscheidend ist, ein Spiel zu gewinnen. Sieg und Niederlage sind ein wichtiges Ausbildungsthema je weiter man nach oben kommt. Natürlich dürfen diese Siege nicht auf Kosten der individuellen Ausbildung oder der Spielphilosophie zustande kommen. Die Entwicklung des Einzelnen steht immer an erster Stelle. Aber man darf es sich auch nicht zu einfach machen und sagen: Naja, wir verlieren zwar unsere Spiele, aber dafür bilden wir gut aus. Wir müssen Gewinner ausbilden, das ist ganz wichtig.