Thomas Graml im Interview
Der Amateurfußball legt wieder los: „Wir leben noch auf einer Insel der Seligen“

17.07.2024 | Stand 17.07.2024, 14:30 Uhr |

Steht seit 2017 an der Spitze des Fußballbezirks Oberpfalz: Thomas Graml Foto: Imago

Der Amberger Thomas Graml steht seit 2017 an der Spitze des Fußballbezirks Oberpfalz. Am Wochenende starten die Amateurkicker in ihre neue Spielzeit. Im Interview äußert sich der 52-Jährige zu seinen Erwartungen für die kommende Saison und nennt auch einige Neuerungen.

Herr Graml, hatten Sie als Vorsitzender des Fußballbezirks Oberpfalz Gelegenheit, die EM hautnah zu verfolgen?
Thomas Graml: Ja, ich war in München und Leipzig bei insgesamt vier Spielen im Stadion. Ich war begeistert von der Atmosphäre, es waren aus meiner Sicht teils mitreißende Spiele.

In der Sommerpause hat es im Bezirk eine personelle Veränderung gegeben. Warum?
Graml: Bezirksspielleiter Christian Wolfram hatte nach dem Tod von Hans Dammer zusätzlich die Funktion des Bezirksseniorenspielleiters übernommen. Wir haben festgestellt, dass es nicht funktioniert, diese beiden Positionen parallel zu bekleiden. Bei den „Alten Herren“ reden wir zwar nur von ein paar Ligen, aber die Aufgabe ist sehr zeitintensiv, da viele Gastspielgenehmigungen auszustellen sind und viele Verlegungen zu terminieren sind. Mit Dominik Fraunholz haben wir meiner Ansicht nach den idealen Nachfolger von Christian Wolfram gefunden.

Der sportliche Leuchtturm im Bezirk ist der SSV Jahn Regensburg. Wie haben Sie den Aufstieg erlebt?
Graml: Wir sind natürlich sehr glücklich, in der Oberpfalz wieder einen Zweitligisten zu stellen, zumal der sofortige Wiederaufstieg zu Saisonbeginn nicht zu erwarten war. Hinzu kam die ungeheuere Bürde des Todes von Agyemang Diawusie. Jetzt drücken wir dem Jahn die Daumen für die Saison.

Die Ligeneinteilung im Bezirk birgt vor jeder Saison Konfliktstoff. Wie sah es diesmal aus?
Graml: Knifflige Fälle wird es immer geben. Aber wir hatten rechtzeitig intensiven Kontakt mit den betroffenen Vereinen, um sie auf eventuelle Szenarien vorzubereiten. So sind wir letztlich auf viel Verständnis und große Einsicht gestoßen.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Graml: Dass der SV Schwarzhofen in die Südstaffel der Bezirksliga eingruppiert werden musste, ist natürlich keine optimale Lösung. Für diese Einschätzung genügt ein Blick auf die Landkarte. Umso dankbarer bin ich, dass der Verein signalisiert hat: „Jawohl, wir akzeptieren das in dieser Saison.“

Nicht erst seit der Pandemie verzeichnen viele gesellschaftliche Bereiche einen Mangel an ehrenamtlichem Engagement. Betrifft das auch den Fußballbezirk Oberpfalz?
Graml: Nein – oder nur zum Teil. Ich begegne bei Vereinsbesuchen und Jubiläen vielen jungen Menschen, die sich engagieren. Das stimmt mich hoffnungsvoll. Aber wir haben – zumindest in gewissen Gebieten – wachsende Probleme, qualifizierte Übungsleiter und Betreuer zu finden. Die Zahl der Juniorenmannschaften steigt, aber viele Eltern sehen offenbar den Fußballverein als eine Art Betreuungsstätte für ihre Kinder.

Mit welchen Folgen?
Graml: Sie geben die Kleinen beim Verein ab, bringen sich aber darüber hinaus selbst nicht mit ein. Sie entrichten ja ihre Mitgliedsbeiträge, das muss reichen. Dafür sind diese aber viel zu niedrig. Ich bin unserem Bundestrainer Julian Nagelsmann deshalb dankbar für seinen Appell während der EM, wieder gemeinsam und mit Freude anzupacken. Ich hoffe, das fruchtet.

Verbale und tatsächliche Gewalt auf Fußballplätzen rückt immer mehr in den Fokus. Wie sieht es in der Oberpfalz aus?
Graml: Gott sei Dank leben wir in dieser Beziehung noch auf einer Insel der Seligen. Natürlich gab es auch bei uns Ausreißer, und jeder einzelne ist einer zu viel. Aber der Prozentsatz liegt – bezogen auf die Gesamtzahl der Spiele – bei unter einem Prozent. Das heißt beileibe nicht, dass wir das Thema auf die leichte Schulter nehmen. Wir haben in der Oberpfalz eine eigene Arbeitsgruppe „Gewalt“ gegründet. Deren Ergebnisse fließen in eine bayernweite Arbeitsgruppe ein. Dazu kommt unsere Kampagne „Bleibt‘s entspannt am Spielfeldrand“.

Leisten die Vereine in der Region aus Ihrer Sicht genug für die Integration?
Graml: Sie leisten vorbildliche Integrationsarbeit, aber natürlich gibt es auch da Ausreißer. Der negative Einfluss der sozialen Medien ist nicht wegzudiskutieren. Wir hatten jüngst einen Fall, bei dem das „Sylt-Lied“ nachgegrölt wurde. Da sind die Vereine gefordert. Es geht darum, die Kinder nicht nur zusammen Fußball spielen zu lassen, sondern auch ihr soziales Miteinander zu fördern.

Auch der Fußball sieht sich mit Umweltthemen konfrontiert. Wie reagieren Sie?
Graml: Wir arbeiten im Bayerischen Fußball-Verband intensiv an einer Nachhaltigkeitsstrategie. Wir machen eine Bestandsaufnahme, suchen aber auch nach Verbesserungspotenzial. Wo haben wir eventuell noch Defizite? Wie wäre es, Secondhand-Fußballbasare anzubieten? Können wir die Ligeneinteilung durch kürzere Fahrtstrecken optimieren? Was ist mit der Rasenbewässerung, was mit dem Energieaufwand bei Flutlichtspielen?

Wie sieht es generell mit der Zahl aktiver Kicker im Bezirk aus?
Graml: Bei den Kleinsten, den F-, E- und D-Junioren, verzeichnen wir steigende Zahlen. Im Mädchen- und Frauenfußball sind sie insgesamt stabil. Einen Schwund stellen wir im Herrenbereich fest. Es bilden sich deshalb immer mehr Spielgemeinschaften. Eine zentrale Aufgabe für uns ist, dass die Mädchen und Buben irgendwann auch oben im Erwachsenfußball ankommen.

Inwiefern?
Graml: Bei den C-Junioren gibt es fast schon traditionell einen Knick. Da brechen viele weg, weil sie sich auf andere Interessen konzentrieren. Hinzu kommt die schulische Belastung. Wenn ab dem Jahr 2026 in Bayern der Rechtsanspruch auf die Ganztagsschule greift, werden die Kinder bis 16 oder 17 Uhr betreut. Fraglich, ob nachher noch genügend Zeit zum Training bleibt.

Haben Sie Schwierigkeiten, genügend Schiedsrichter zu gewinnen?
Graml: Wenn wir noch mehr Unparteiische hätten, wäre es natürlich schön. Aber wir verzeichnen steigende Zahlen und einen regen Zulauf bei Neulingslehrgängen. Es gibt außerdem viele Rückkehrer, was zum Teil auch auf die deutliche Spesenerhöhung zurückzuführen sein dürfte. Unsere Werbekampagnen fruchten. Ich nenne mal ein sehr positives Beispiel: Als wir beim FC Altrandsberg (Kreis Cham/d. Red.) einen Fußballregelabend für Frauen und Mädchen angeboten haben, hatte die Teilnehmerinnen so viel Spaß, dass sich spontan sieben Mädels für den Neulingslehrgang angemeldet haben.

Gibt es zur neuen Saison wesentliche Neuerungen?
Graml: Ich nenne mal zwei. Der Minifußball wird nun Pflicht. Wir haben dazu in den vergangenen Jahren viel Überzeugungsarbeit geleistet. Zweitens führen wir das sogenannte „Stopp-Konzept“ ein, das sich in einem Pilotprojekt im Württembergischen Verband bewährt hat. Die Zahl der Spielabbrüche ging nach der Einführung stark zurück. Wenn sich die Situation auf oder neben dem Platz aufheizt, kann der Schiedsrichter eine fünf- oder zehnminütige Pause ausrufen, damit alle mal durchschnaufen und sich beruhigen können. Damit sind die Schiris nicht mehr gezwungen, das Spiel gleich komplett abzubrechen, wenn es aus dem Ruder zu laufen droht.

Herr Graml, mit welchem Gefühl gehen Sie in die nun beginnende Spielzeit?
Graml: Mit einem sehr guten. Einmal wegen der prima EM-Stimmung, von der ich hoffe, dass sie ein bisschen auf uns rüberschwappt. Zum anderen, weil wir im Fußballbezirk ein sehr gutes Miteinander pflegen.