Christoph Huber weiß, dass das Thema kommt. Es geht ja auch gar nicht anders. Also: Wie bitteschön ist es möglich, dass eine Mannschaft mit der schwächsten Offensivbilanz der gesamten Liga voll im Titelrennen mitmischt? „Weil wir im Gegenzug die mit Abstand beste Defensive haben“, sagt Huber und lacht. Erst neun Gegentreffer hat der SV Erlbach in seinen bisher 17 gespielten Partien der Fußball-Bayernliga Süd hinnehmen müssen und es somit geschafft, die mageren 15 geschossenen Tore derart gut zu kompensieren, dass man damit 32 Punkte auf sein Konto bringen konnte. Anders ausgedrückt: Die Jungs aus dem Landkreis Altötting um Trainer Lukas Lechner sind die wahrscheinlich erfolgreichsten Minimalisten in ganz Fußball-Bayern, wenn nicht so gar darüber hinaus.
„Tatsächlich werden wir mittlerweile ganz oft auf unsere Bilanz angesprochen“, sagt Huber, der dabei immer wieder einen Satz zu hören bekommt. „Wenn Erlbach 1:0 vorne liegt, kann man den Liveticker ausschalten.“ Fünf Mal gewann der SVE in dieser Saison mit dem knappsten aller Ergebnisse. Geht Erlbach in Führung, brennt meist nichts mehr an, auch wenn weitere eigene Tore ausbleiben. Nur am zweiten Spieltag beim 3:1 gegen Grünwald gelangen dem Team mehr als zwei Treffer.
Dabei ist es aber nicht so, dass Erlbach sich keine Chancen erarbeitet. Im Gegenteil: „Wir treten oft sehr dominant auf, pressen gut und schnüren den Gegner hinten ein. Aber im Abschluss machen wir es häufig zu kompliziert“, urteilt Huber. Bestes Beispiel: Beim jüngsten Heimspiel gegen Grünwald feuerten die Gastgeber zahlreiche Schüsse ab, 13 davon gingen sogar direkt aufs Tor − aber nur einer war auch drin. „Wir haben drei Mal Alu getroffen, zudem hat der Torwart gut gehalten“, berichtet Huber, der Erlbachs Offensivabteilung keinesfalls als zahnlos bezeichnen möchte. „Die Jungs wissen, wie man Tore schießt. Im Training hauen sie die Dinger reihenweise rein, nur im Spiel klappt es noch nicht.“ Woran es liegt? Huber vermutetet eine kleine Blockade im Kopf. „Es wird extrem viel über unser Torverhältnis geredet. Auch wenn die Spieler sagen, dass sie sich nicht damit beschäftigen, ist es doch irgendwie in den Köpfen drin.“ Von daher müsse nur mal der berühmte Konten platzen, meint Huber.
Extrem viele Parallelen zur Meistersaison
Und außerdem: Solange sie sich in Erlbach auf ihre Verteidigungskünste verlassen können, reiche ja auch ein eigener Treffer aus. Mit 32 Punkten rangiert der SVE derzeit auf Rang vier, sollte man das Nachholspiel gegen Nördlingen, das übrigens am 7. Dezember (!) angesetzt wurde, gewinnen, läge man nur einen Punkt hinter Tabellenführer 1860 München II. „Wir sind mit der bisherigen Ausbeute extrem zufrieden“, sagt Huber und schickt schmunzelnd hinterher. „Man kann sogar sagen, dass wir überperformen.“
Auf was der Sportliche Leiter damit anspielt, ist eine ähnliche Kuriosität wie das Erlbacher Torverhältnis. Denn im Vergleich zur vorherigen Spielzeit gibt es fast schon beängstigende Parallelen. Nach der Hinrunde hatte Erlbach die exakt identische Punktzahl, den gleichen Tabellenplatz und sogar die gleiche Tordifferenz wie ein Jahr zuvor. Hinzu kommt: Wie in der letzten Saison gab es auch diesen Oktober einen Durchhänger, „mit dem Unterschied, dass wir damals drei Spiele verloren haben und dieses Mal nur zwei“, sagt Huber. Daher stehen mittlerweile trotz weniger erzielter Tore drei Punkte mehr auf dem Konto als im November 2023.
Wie sich die Saison 2023/24 weiterentwickelte, ist bekannt. Erlbach verlor bis April kein Spiel mehr, holte am Ende sensationell den Meistertitel. Von einem ähnlichen Coup mag aktuell niemand sprechen beim Holzland-Klub, der im Sommer einen mittleren personellen Umbruch managen musste. „Man konnte nicht damit rechnen, dass es gleich wieder so gut läuft. Unser Ziel ist es, den Klassenerhalt zu sichern. Wenn wir diesen Meilenstein erreicht haben, schauen wir weiter“, sagt Huber.
Regionalliga-Chance: Der Verein will vorbereitet sein
Sollten es die Erlbacher tatsächlich schaffen, bis zum Ende ganz oben dabei zu bleiben und vielleicht sogar das einmalige Kunststück fertig bringen, den Meistertitel zu verteidigen, will der Verein besser vorbereitet sein. In der Winterpause starten Umbaumaßnahmen am Stadion, infrastrukturell soll es stetig vorwärts gehen beim SVE, der im Sommer den Aufstieg in die Regionalliga ablehnte. Eine möglich zweite Chance will man nicht ungenutzt lassen. „Niemand spricht aktuell über die Regionalliga, aber unsere Absage war definitiv kein dauerhafter Verzicht“, sagt Huber.
Derzeit sind die Blicke beim SVE jedoch nur auf dem sportlichen Ist-Zustand gerichtet. Bis zum Winter sind es noch fünf Spiele, im Frühjahr erhält der SVE dann auch personelle Verstärkung. Neben einem möglichen externen Neuzugang will Lukas Lechner (36) wieder angreifen. Der Spielertrainer unterzog sich vor zwei Wochen einem kleinen Eingriff am Meniskus, ist aber schon wieder ohne Krücken unterwegs. Auch das regionalligaerfahrene Toptalent Milos Lukic (20), vor der Saison aus Burghausen gekommen, ist nach fast einjähriger Verletzungspause auf einem guten Weg zum Comeback. Hinzu kommt, dass junge Spieler wie Pascal Dirnaichner (21), der vor ein paar Monaten mit Postmünster noch in der Kreisklasse kickte, immer besser reinwachsen in die Aufgabe Bayernliga. „Die Richtung bei uns stimmt definitiv“, sagt Huber vor dem Heimspiel am Samstag gegen Heimstetten (15.30 Uhr).
Der Tabellendreizehnte sorgte jüngst mit einem 4:2-Sieg gegen Spitzenreiter 1860 II für Aufsehen und zeigte, dass man mit Blick auf die Kader-Qualität eigentlich viel zu weit hinten steht in der Tabelle. Andererseits musste Heimstetten auch schon 39 Gegentreffer schlucken, nur Grünwald hat mehr (45). Vielleicht eine gute Gelegenheit für Erlbach, das eigene Torkonto etwas aufzupolieren. Wobei: „Wir haben auch nichts gegen ein 1:0“ sagt Huber und lacht.