768 Tage. Also mehr als zwei Jahre. Exakt so lange hatte Melike Pekel kein Pflichtspiel mehr bestritten. Bis zu diesem Sonntag, den 12. November 2023. Letztlich waren’s nur 21 Minuten, die die Schrobenhausenerin da für ihren neuen Klub, den FC Ingolstadt 04, auf dem Rasen stand. Aber sie genoss jede einzelne Sekunde davon.
Ihre unfassbar lange Leidenszeit, hervorgerufen durch einen Kreuzbandriss und dessen Folgen: endlich vorbei. Ebenso wie alle Zweifel, ob sie es überhaupt noch einmal auf den Fußballplatz zurück schafft. Aber einfach nur aufgeben: So tickt sie nicht. Pekel war schon immer eine Kämpferin. Und nur dadurch war es ihr im Laufe ihrer Karriere auch schon gelungen, für solche Weltklubs wie den FC Bayern München oder Paris St. Germain aufzulaufen.
Jetzt also ein Neuanfang in der 2. Bundesliga. Gar nicht weit von ihrem Zuhause entfernt. Gegen den SV Weinberg, auf dem Kunstrasenplatz hinter dem Audi-Sportpark – vor 150 Zuschauern. Also kein nobler Pariser Prinzenpark mehr. Aber völlig egal. „Ich bin sooo froh, überhaupt wieder kicken zu können“, sagt Pekel – und verstärkt das Ganze noch mit einem tiefen Durchatmen. Nein, bei 100 Prozent sei sie noch lange nicht. Und ja, ihr rechtes Knie schmerze weiterhin ein bisschen. Doch ein Anfang ist jetzt gemacht.
Ein Anfang, der aus Sicht der Offensivakteurin einfach sein musste. „Fußball ist ein Riesenteil meines Lebens, ich spiele seit meinem sechsten Lebensjahr. Dass ich das plötzlich über 25 Monate nicht tun konnte – es tat mir unglaublich weh“, verrät die 28-Jährige. Ihr fulminanter Trip ins internationale Rampenlicht: Vom FC Schrobenhausen aus war er einst losgegangen. Beim TSV Schwaben Augsburg wurde Pekel dann schnell mal Torschützenkönigin 2013/ 14 in der Regionalliga Süd, in ihren zwei Jahren und sieben Monaten beim FC Bayern zählte sie zum Deutschen Meisterteam 2014/15 – ehe 2017 ihre ganz persönliche Tour des France begann. Ihre Stationen hierbei: FC Metz, Paris St. Germain, Girondins Bordeaux, AC Le Havre und Stade Reims – also ausnahmslos Topadressen in Sachen Damenfußball in der Grande Nation.
„Frankreich fühlte sich wie meine zweite Heimat an“
Pekel lernte Frankreich sehr schnell kennen und lieben. Beziehungsweise erlernte die Sprache, die sie mittlerweile fließend beherrscht. „Ich hätte mir sogar vorstellen können, für immer dort zu bleiben“, verrät sie: „Dieses Land fühlte sich sehr bald wie meine zweite Heimat an.“ Ihre Augen leuchten bei diesen Sätzen. Und wenn Pekel dann ganz explizit an Paris denkt: „Einfach nur Wowww.“ Mehr braucht sie gar nicht mehr zu sagen, ihr Blick allein genügt. Doch jener kann sich auch sehr schnell wieder verfinstern – nämlich dann, wenn das Gespräch auf ihre letzte französische Station fällt: Reims. Wobei es natürlich nicht die Stadt an sich ist, die sie immer noch wütend macht – sondern der dortige Fußballklub. Der Schrobenhausenerin ist anzumerken, dass ihr jetzt eine Menge dazu einfallen würde. Aber sie sagt’s nicht, weil sie dafür viel zu gut erzogen ist. Nur so viel: „Ich bin von Stade sehr enttäuscht. Erst wollte mich der Klub 2021 unbedingt – obwohl ich nach meinem bereits im November 2019 erlittenen Kreuzbandriss immer noch Schmerzen im Knie verspürte. Und als ich dann erklärte, dass es nicht besser wird, wurden aus einem eigentlich professionellen Umfeld falsche Diagnosen gestellt sowie falsche Behandlungen durchgeführt.“
Die Konsequenzen daraus: Pekel wurde 2021/22 nie richtig fit, konnte deshalb von Stade nur fünfmal eingesetzt werden – und stand nach nur einem Jahr in Reims plötzlich auf der Straße, weil der Vertrag vom Verein aus nicht mehr verlängert wurde. Also was tun?
Die Schrobenhausenerin nahm die Sache selbst in die Hand, kehrte nach Deutschland zurück, trainierte individuell weiter. „Mal mit mehr, mal mit weniger Motivation“, verrät sie. So weit, die Brocken komplett hinwerfen zu wollen, war die Offensivakteurin allerdings nie. Zumal die Fachärzte, die sie nun in Eigenregie konsultierte, sehr wohl helfen konnten. Zwar nicht komplett, aber es trat zumindest eine Besserung ein. Und das war vor allem für den Kopf der 28-Jährigen Vollblutfußballerin immens wichtig.
Offerten trotz Zwangspause als Motivationshilfe
Was ihr in jener Phase ebenfalls viel Rückenwind verlieh, war, dass trotz ihrer Zwangspause weiterhin Angebote von diversen Vereinen auf den Tisch flatterten. Es wäre ein Leichtes für sie gewesen, einfach eines davon anzunehmen – aber Pekel lehnte in Absprache mit ihrem Berater alles strikt ab. „Ich wollte erst irgendwo unterschreiben, wenn wirklich feststeht, dass ich wieder kicken kann“, erinnert sie sich: „Aber zu sehen, dass ich trotzdem noch einen hohen Stellenwert genieße, tat natürlich immens gut.“
Umso mehr verstärkte sich dadurch ihr Wille, es nochmals zu packen. Es nochmals allen zu zeigen. Sie, die 26-fache Nationalspielerin der Türkei – einfach von einem Tag auf den nächsten aufhören? Sie, die einstige Markenbotschafterin des Sportartikelriesen Nike in der Türkei – mit einem Abschied quasi durch die Hintertür? Nicht mit ihr.
Wobei Pekel zugibt, dass sie in jener schwierigen Zeit nicht nur körperlich gelitten habe: „Ja, mir ging es auch mental sehr schlecht. Ich bin da zwar mittlerweile gut herausgekommen, aber leicht war es nicht.“ Als Jammern möchte sie diese Sätze nicht verstanden wissen: „Das Leben ist halt kein Wunschkonzert – und es passieren eben Dinge, die man so nicht erwartet hat. Aber ich habe mit dieser schwierigen Phase abgeschlossen und richte meine Blicke nur noch nach vorne.“
Beim FC Ingolstadt 04 sofort Vertrauen gespürt
Womit wir in Sachen Sport wieder beim FC Ingolstadt 04 wären. „Ich weiß gar nicht mehr so recht, wie der Kontakt im Sommer genau zustande gekommen ist – aber ich habe von Anfang an das Vertrauen der Verantwortlichen in meine Person gespürt“, berichtet Pekel: „Ich merkte sofort, dass sie wirklich an mich glauben – und das imponierte mir.“
Doch selbst das führte nicht dazu, dass die Schrobenhausenerin sofort bei den Schanzern unterschrieb. Sie blieb zunächst bei ihrem Grundsatz: „Zusage erst, wenn ich mir hundertprozentig sicher bin, wieder kicken zu können.“ Genau dieses Gefühl hat sie nun seit dem Spätsommer. Komplett, ohne Wenn und Aber. Folgerichtig stieg Pekel vor rund zwei Wochen ins Mannschaftstraining beim FC 04 ein – und feierte jetzt eben ihr Punktspieldebüt bei den Ingolstädterinnen gegen den SV Weinberg (1:0). Immerhin in der 2. Bundesliga.
Aber in keinem Oberhaus. „Es heißt ja nicht, dass der FC 04 nicht auch mal dorthin aufsteigen kann“, sagt die 28-Jährige augenzwinkernd: „Ich traue es ihm durchaus zu, Cheftrainer Miren Catovic und das gesamte Betreuerteam leisten hier eine sensationelle Arbeit. Und auch ich werde, wie es einfach meine Art ist, 100 Prozent geben.“ Nein, nicht nur 70. Nicht nur 99. 100, darauf legt sie großen Wert. „Das Feuer für Fußball brennt in mir mehr denn je. Und ja: Ich traue es mir absolut zu, im Ingolstädter Team auch sehr schnell eine Leaderfunktion zu übernehmen. Ich habe die nötige Erfahrung dazu und hoffe, den Jüngeren ebenso helfen zu können, wie es damals bei mir die Älteren taten.“
Pekel sagt das nicht nur so. Ihr ist das sehr wohl sehr wichtig. Ebenso, wie es für sie von großer Bedeutung ist, auch über den fußballerischen Tellerrand hinauszublicken – ihre eigene Meinung zu vertreten. Die Schrobenhausenerin tut dies immer wieder – nicht zuletzt über ihren Instagram-Account mit zurzeit rund 16500 Followern. Nur zum Vergleich: Der Shootingstar unter den deutschen Herrenfußballtrainern, Fabian Hürzeler vom FC St. Pauli, verzeichnet nur etwas mehr als 6500. „Wenn ich meine Reichweite dazu nutzen kann, auf irgendwelche Ungerechtigkeiten oder Missstände hinzuweisen, dann tue ich das“, so Pekel voller Überzeugung. Wie brutal schlecht sich Missstände anfühlen können, das hat sie in den vergangenen 25 Monaten ja auch selbst zur Genüge erleben müssen.
SZ