Die EM geht los! Den aktuellen Fußball-Bundestrainer Julian Nagelsmann kennt der frühere Nationalspieler Christian Träsch (36) bestens aus gemeinsamen Zeiten im Nachwuchs des TSV 1860 München. Von damals stammt auch eine kuriose, noch laufende Wette der beiden. Träsch hofft auf eine erfolgreiche Heim-EM für seinen Freund.
Herr Träsch, mit Julian Nagelsmann auf dem Posten des Bundestrainers müssen Sie sehr zufrieden sein. Wetten, dass...?
Christian Träsch: Jetzt, wo er Nationaltrainer ist, hoffe ich, dass unsere Wette noch steht. Aber die steht auch. (lacht)
Sonst müssen Sie vielleicht schneller als Ihnen lieb ist ein Auto bezahlen. Wie kommt es dazu?
Träsch: Ich bin mit Julian zu unserer Zeit in der Jugend von 1860 München auf die FOS in Giesing gegangen, wir saßen nebeneinander, er kam dann irgendwann morgens an und hat gesagt, er darf wegen Verletzungen nicht mehr Fußball spielen. Aber es mache nichts: Er werde Bundesliga-Trainer und gewinnt die Champions League bis zum Jahr 2032. Ich dachte: Alles klar, red’ du mal mit 17, also haben wir um ein Auto gewettet. Da ich aus Ingolstadt komme und er Audi auch gut findet, haben wir gesagt: Ein angemessenes Auto wäre ein Audi A3 – um den geht es noch.
Mehr zur Europameisterschaft in Deutschland lesen Sie auf unserer Sonderseite
Wie oft sind Sie schon ins Schwitzen gekommen?
Träsch: Er war ja schon sehr nah dran, muss man sagen, stand 2020 mit Leipzig im Halbfinale gegen Paris. Ich habe natürlich auf die Qualitäten von Paris vertraut (lacht). Aber ich gönne es Julian sehr. Er ist ein sehr, sehr feiner Mensch. Ich hoffe, dass er noch so viele Titel wie möglich gewinnt. Jetzt vor allem mit der Nationalmannschaft. Dass er die EM gewinnt und noch mindestens acht Jahre Bundestrainer bis 2032 bleibt – das wäre natürlich gut für mich.
Was wäre der adäquate Wetteinsatz, wenn es um den EM-Titel ginge? Ein Audi A6, und beim WM-Pokal ein A8?
Träsch: Ich sehe Deutschland heuer ganz weit vorne, daher würde ich mich auf die Wette nicht einlassen. (lacht)
„Vereinstrainer“ Nagelsmann wird überraschend Bundestrainer
Wie überrascht waren Sie, dass Nagelsmann das Amt des Bundestrainers angenommen hat?
Träsch: Sehr überrascht. Ich glaube aber, der DFB hat sich sehr um ihn bemüht. Das war auch sehr, sehr wichtig. Dass du mit ihm als jungem dynamischem Trainer auch die junge Generation wieder mitnimmst und die Nationalmannschaft ein Stück weit attraktiver machst. Für ihn ist es wiederum die größte Auszeichnung, wenn du so ein Land wie Deutschland trainieren darfst. Jetzt hat er anscheinend Gefallen daran gefunden und sogar verlängert.
Sie haben ihn als Mitspieler bei den Löwen, als Banknachbar und Mitbewohner erlebt: Wie charakterisieren Sie ihn – damals und heute?
Träsch: Julian ist ein sehr lustiger Mensch, der ist für jeden Spaß zu haben, aber er weiß auch, wann er ernst sein muss. Er ist auch ein sehr akribischer Mensch...
...der manchmal angriffslustig wirkt...
Träsch: ...definitiv, das war in der Schule schon so. Oder auch im Jugendfußball. Dann provoziert er auch mal mit einer Aussage. Aber wenn es darauf ankommt, hat er performt. Er wäre auch Fußball-Profi geworden, weil er ein unglaubliches Stellungsspiel als Innenverteidiger hatte.
Rollenverteilung wie die Basketball-Weltmeister
Als Bundestrainer nimmt er starke Anleihen bei den deutschen Basketball-Weltmeistern von Gold-Trainer Gordon Herbert mit klarer Rollenverteilung: Leitwölfe und Herausforderer im Team.
Träsch: Das ist ganz wichtig, so etwas zu haben. Du brauchst immer jemanden, an dem du dich orientieren kannst. Du brauchst immer die Arbeiter, du brauchst die Filigranen. Nur Filigrane funktioniert nicht. Für diesen Mix hat Julian gut nominiert.
Wie wichtig war es, Toni Kroos zurückzuholen?
Träsch: Das war schon ein starkes Signal vom DFB, dass sie ihn angefragt haben, da tritt das Leistungsprinzip absolut hervor. Er hat die letzten Jahre einfach überragend gespielt, ist für mich einer der besten deutschen Fußballer, die es je gab. Nicht nur an den Titeln gemessen, sondern auch wie er spielt. Aber auch von Toni Kroos zu sagen, in der schweren Phase komme ich zurück, finde ich ein starkes Zeichen. Und ich finde, es ist extrem wichtig, weil er einfach einer ist, der das Spiel an sich reißen kann, der das Spiel nach vorne antreibt.
Manuel Neuer hat „eine andere Ausstrahlung“ als ter Stegen
Kroos ist klarer Leitwolf, aktuell kommen Diskussionen um Torhüter Manuel Neuer und die Rolle von Kapitän Ilkay Gündogan auf. Wie sehen Sie das?
Träsch: Marc-Andre ter Stegen ist ein überragender Torhüter, spielt mit Barcelona eigentlich immer eine gute Saison, ist super am Fuß. Für mich persönlich ist Manuel Neuer aber nochmal ein Stück besser. Ich finde, der hat eine andere Ausstrahlung. Wenn du ihn vor dir hast, dann denkst du dir: Oh Gott, hoffentlich geht der Ball irgendwie rein. Man spricht jetzt immer über Neuers Fehler gegen Griechenland, aber die zwei Paraden, die er davor gemacht hat, über die spricht keiner. Die hätte ein anderer Torwart vielleicht reingelassen.
Testen Sie Ihr Wissen in unserem EM-Quiz.
Wie wichtig ist Gündogan?
Träsch: Das ist tatsächlich schwer einzuschätzen. Bei ManCity hatte er mehrere unglaubliche Saisons, war unangefochten, weil er im Mittelfeld sein Spiel frei entfalten konnte. Bei Deutschland hat man immer so ein Gefühl, er selbst fühlt sich nicht wohl. Wohin mit ihm? Ich bin selber gespannt, wie das deutsche Mittelfeld ausschauen wird; aber ich gehe davon aus, so wie im letzten Test gegen Griechenland. Also mit Gündogan.
Schwere EM-Gruppe: „Es gibt kein Kanonenfutter mehr“
Was trauen Sie den Deutschen zu, wie weit geht’s?
Träsch: Vom Namen her sind wir für mich gerade bei einer Heim-EM ein Mitfavorit. Aber die Gruppenphase wird schwieriger als viele vielleicht denken, es gibt kein Kanonenfutter mehr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch Spiele gibt, die wir locker 3:0, 4:0 gewinnen. Die Ungarn sind extrem stark, die Schotten können kontern, die Schweizer haben super Fußballer. Ich glaube zwar, dass wir die Gruppe überstehen, aber jedes Spiel wird schwer werden.
Könnte es vielleicht eine EM sein, die wie Griechenland 2004 einen überraschenden Sieger hervorbringt – weil jede Mannschaft eine Schwäche hat? Wenn Sie sich jetzt festlegen müssten: Wer wird es?
Träsch: Ich glaube, das kann man so nicht. Ich würde natürlich hoffen, dass Deutschland Europameister wird. Weil es einfach endlich wieder Zeit wird, zurück in den Status zu kommen: Wir als große Fußball-Nation. Und wünschen würde ich mir, dass sie diese Euphorie im Land auch wecken können, dass jeder mit der Fahne draußen rumläuft, dass man gern zum Public Viewing geht, dass man einfach sagt: „Deutschland spielt heute Abend? Ich nehme mir nichts anderes vor.“ Das ist in den vergangenen Jahren verloren gegangen. Und ich hoffe, das kommt nun wieder.
ZUR PERSON
Der gebürtige Ingolstädter Christian Träsch absolvierte 209 Bundesliga-Spiele für den VfB Stuttgart und VfL Wolfsburg, 33 Begegnungen in der Champions League und Europa League, 22 im DFB-Pokal mit dem Cup-Gewinn 2015. Der heute 36-Jährige kommt zudem auf zehn Länderspiele.
Artikel kommentieren