Christian Straßburger hat als Kommentator bei Magenta Sport einen genauen Blick auf die 3. Liga. Vor dem Beginn der Rückrunde an diesem Freitag spricht der 35-Jährige mit unserer Zeitung über den FC Ingolstadt, die fehlende Ruhe bei den Löwen, Enttäuschungen aus der Hinrunde sowie seine Auf- und Abstiegsprognose.
Herr Straßburger, welche Teams haben Sie in der Vorrunde überrascht – positiv wie negativ?
Christian Straßburger: Dass die Aufsteiger oben mitspielen können, hat die 3. Liga mittlerweile ja verinnerlicht. Aber mit Energie Cottbus habe ich wirklich nicht gerechnet. Als ich sie zum ersten Mal beim VfL Osnabrück kommentiert habe, spielten sie so einen fantastischen Offensivfußball. Die haben sich, wie sagt man bei euch in Bayern, nichts geschissen.
Und negativ?
Straßburger: Osnabrück und Rot-Weiss Essen. Beim VfL ist einiges kaputt gegangen seit dem Zweitliga-Aufstieg 2023. Das ist ein Niedergang in kurzer Zeit, den ich so auch noch nicht erlebt habe. Und RWE, ein so großer Traditionsklub, der zehn Jahre gekämpft hat, um überhaupt wieder in den Profifußball zurückzukommen... Und jetzt zeigen sie sich teils so leblos, da mache ich mir große Sorgen. Zumal ich Uwe Koschinat (neuer Trainer; d. Red.) nicht unbedingt als Retter in Erinnerung habe. Das kann richtig bitter werden für Rot-Weiss-Essen.
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Wie nehmen Sie den FC Ingolstadt um Trainerin Sabrina Wittmann wahr?
Straßburger: In den 19 Spielen konnte man schon richtig gut sehen, welche Entwicklung sie genommen hat. Sie hat nicht starr an einem Spielsystem festgehalten und auch in der schwierigen Phase die richtigen Schlüssel gefunden. Sie hat sich selbst hinterfragt und – so habe ich es gehört – mit dem Team einen guten Vibe. Ich glaube, dass sie eine richtig gute Teamplayerin ist und eine richtig gute Ansprache hat, die Mannschaft hinter sich zu bekommen. Es gelingt ihr super, die Mannschaft radikal zu verjüngen. Sie kennt den FCI und hilft enorm dabei, wieder eine Identität zu schaffen. Wofür Ingolstadt steht, das war jahrelang überhaupt nicht klar. Das beeindruckt mich, sie kommt gut und frisch rüber. Ich finde sogar, sie könnte in Interviews noch ein bisschen mehr ihrem Alter entsprechend agieren. Da ist sie mir manchmal zu reserviert, zu überlegt, zu unemotional.
So sieht Kommentator Straßburger den FC Ingolstadt
Der FCI hielt trotz des wackligen Starts an Wittmann fest. Wundert es Sie, dass die Vereinsbosse mehr Geduld zeigten als bei einigen ihrer Vorgänger?
Straßburger: Es hat mich gefreut bei der „Hire-and-fire“-Mentalität, die in der 3. Liga herrscht. Man spricht von Plänen, von Visionen. Wenn ich zum Beispiel an den SV Sandhausen vergangene Saison denke: Da kommt ein junger Trainer (Danny Galm; d. Red.) und wird nach kurzer Zeit wieder entlassen. Wenn man einen Plan hat, muss man daran festhalten, natürlich auch beziehungsweise vor allen Dingen dann, wenn es mal nicht läuft. Nur so kann etwas entstehen.
Wie sehr würde der Lehrgang zur Uefa-Pro-Lizenz Wittmanns Arbeit erschweren?
Straßburger: Man kann nur mal zurückschauen und sagen: Es war so, dass die Trainer, die gleichzeitig auch ihre Profi-Lizenz gemacht haben, öfter auch mal gehen mussten. Jüngstes Beispiel ist wohl Marc Unterberger bei der SpVgg Unterhaching. Aber ob das mit der Lizenz zusammenhängt? Ich gehe davon aus, dass sie ein wunderbares Trainerteam um sich hat und jeder weiß, was seine Aufgabe ist. Aber jeder Tag, an dem du nicht deine Mannschaft spürst, ist für einen Trainer kein guter Tag. Ich drücke ihr alle Daumen.
Mit Sebastian Grönning stellt der FCI zum Winter erneut den treffsichersten Spieler der Liga.
Straßburger: Er ist ein großer, stämmiger Typ. Mit 27 Jahren steckt noch richtig viel Entwicklung in ihm. Es kann natürlich sein, dass das Begehrlichkeiten weckt. Aber der FCI hat ja auch Möglichkeiten, die andere nicht haben. Vielleicht sieht er ja, dass sein Potenzial beim FC Ingolstadt am besten entwickelt werden kann. Ob man dann nach so einer Saison immer direkt abhauen muss, weiß ich nicht. Falls die Schanzer aufsteigen sollten, würde ich ihm ohnehin raten zu bleiben. Er war ja schon überall und nirgendwo: Vielleicht wird aus dem Wandervogel nun ein Wellensittich, der sich zu Hause wohlfühlt.
Der TSV 1860 München steckt im Niemandsland der Tabelle. Was ist noch drin?
Straßburger: Wenn ich das wüsste, wäre ich ein reicher Mann. Sie haben eigentlich eine toll zusammengestellte Mannschaft, jetzt erlebst du wieder einen Wahnsinn nach dem anderen. 1860 wollte Dominik Martinovic (Stürmer, vormals bei Slaven Belupo in Kroatien; d. Red.). Es war im Prinzip schon fix, aber aus irgendwelchen Gründen spielt er jetzt doch für RWE. Es ist immer wieder so, dass der TSV in ein Theater reingedrängt wird oder sich selbst reindrängt. Mit dieser Unruhe im Umfeld kannst du nicht vernünftig Fußball spielen. Das drängt so dermaßen in die Kabine, da wirst du irgendwann bekloppt.
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Straßburger: Diese Teams steigen in die 2. Liga auf
Noch weiter unten stehen als Letzter die Hachinger. Kann deren neuer Trainer Heiko Herrlich die SpVgg retten?
Straßburger: Die Ausgangslage ist brutal schwierig. Aber man hat sich bewusst für jemanden entschieden, der den Verein kennt, der ja auch schon mal mit Haching die Klasse gehalten hat. Heiko Herrlich war jetzt ein bisschen raus aus dem Trainerjob (seit seinem Rauswurf beim FC Augsburg im April 2021; d. Red.), trotzdem immer unterwegs. Ich habe ihn vor ein paar Monaten bei einer Fußball-Talkshow kennengelernt, er war total im Geschäft. Ich wünsche ihm, dass Unterhaching so viele Punkte wie möglich holt. Es gibt nur ein Problem.
Welches?
Straßburger: Am Ende müssen vier Teams absteigen. Es wird auf jeden Fall auch einen großen Traditionsverein erwischen: Sechzig, Waldhof, Essen oder Osnabrück. Vielleicht sogar zwei.
Und wer steigt auf?
Straßburger: Dresden und Bielefeld. Dynamo ist qualitativ wirklich noch mal eine Ecke besser als Cottbus. Die Arminia hat große Qualität und wird sich sicherlich noch verstärken. Cottbus wird aber nicht locker lassen, auch der 1. FC Saarbrücken ist richtig stark.
ZUR PERSON
Christian Straßburger (35) ist ein deutscher Fußballkommentator und Sportjournalist. Der in Mönchengladbach aufgewachsene und nun in Köln lebende Straßburger ist seit 2018 für Magenta Sport am Mikrofon (3. Liga, WM, EM), kommentiert aber auch die Bundesliga bei Sky und die Europa League bei RTL.