Dietmar Beiersdorfer wird an diesem Donnerstag 60 Jahre alt. Gemeinsam mit unserer Zeitung blickt der Geschäftsführer des FC Ingolstadt auf sein spezielles Verhältnis zu Trainerlegende Ernst Happel zurück und verrät, warum ihm seine Tochter einst eine satte Rechnung bei der Nationalmannschaft bescherte.
Wie er sich mit 60 Jahren fühlt? „Wesentlich jünger, als ich ursprünglich vielleicht mal annahm“, sagt Dietmar Beiersdorfer mit einem Grinsen. „Das Anstoßen und Feiern wird nachgeholt“, verspricht der Jubilar. Ein Streifzug durch seine Karriere.
Beiersdorfers spezielles Verhältnis zu Happel
Der gebürtige Fürther Beiersdorfer wechselt 1985 zum damaligen Oberligisten SpVgg Fürth. „Ich war ein harter Spieler, fußballerisch war es, im Vergleich zu den Profis heute, zu meinen Anfängen noch eher überschaubar“, meint Beiersdorfer. Seine Umschulung vom Offensiven zum Verteidiger kommt gelegen, denn „als Stürmer hätte ich es nie zum Profi geschafft“. Talentspäher des Hamburger SV entdecken ihn 1986. In seinem ersten Jahr unter Trainerlegende Ernst Happel macht Beiersdorfer 25 Spiele in der Bundesliga, wird Vizemeister sowie DFB-Pokalsieger 1987, beim 3:1 im Finale gegen die Stuttgarter Kickers erzielt er das Tor zum zwischenzeitlichen Ausgleich. Eine bleibende Erinnerung, wie das „unglaubliche Charisma Happels. Er war eine totale Respektsperson, mit sehr großem Herz.“
1987 stocken Beiersdorfers Vertragsverhandlungen mit dem HSV um Manager Felix Magath. „Ich war verunsichert, weil ich natürlich spielen wollte“, gesteht Beiersdorfer. Eines Abends besucht er Happel, der im gleichen Haus wohnt. Er klingelt. „Wos wüst?“, fragt der Wiener. Beiersdorfer: „Trainer, kann ich Sie sprechen?“ Happel: „Kimm eine.“ Er versichert, dass er unabhängig von Beiersdorfers Entscheidung für oder gegen den HSV weiterhin nach Leistung aufstellen werde. „Und wenn du die bringst, dann spüst. Du muast dees mochn, von dem du überzeugt bist“, erinnert sich Beiersdorfer an Happel. „Nach dem Gespräch war ich zehn Zentimeter größer und habe daraus Stärke und Selbstvertrauen für meine ganze Karriere gezogen.“ 1992 wechselt er zu Werder.
Beiersdorfer: Meisterschale und Weser-Wunder
„Otto als Trainer war besonders“, sagt Beiersdorfer über Rehhagel, den es „oft auch nur im Doppelpack mit Beate gab. Ein richtiges Trainer-Ehepaar.“ 1993 wird Werder Bremen Deutscher Meister . „Willi Lemke (Manager; d. Red.) musste dran glauben, wir haben ihn in den Whirlpool geworfen“, erzählt Beiersdorfer mit einem Grinsen. Die Champions League ruft. Am 8. Dezember 1993 gewinnt Werder sein Gruppenspiel gegen den RSC Anderlecht nach einem 0:3-Rückstand zur Pause noch sensationell mit 5:3. „Die Hälfte der Zuschauer war schon weg und eilte ins Stadion zurück, als sie von einem weiteren ‚Wunder von der Weser‘ hörten“, schwärmt Beiersdorfer, der 1994 ein zweites Mal den DFB-Pokal holt und bei Werders 3:1 im Finale gegen Rot-Weiss Essen erneut trifft. 1996 zieht es den Franken zum 1. FC Köln, ein Jahr später in die Serie A zu AC Reggiana. Dort muss er 1997 seine Karriere wegen einer Augenverletzung beenden.
Beiersdorfers einziges Länderspiel für Deutschland
Sein einziges Länderspiel bestreitet Beiersdorfer am 1. Mai 1991 in der EM-Qualifikation. Beim 1:0-Erfolg gegen Belgien in Hannover spielt er mit Thomas Berthold in der Innenverteidigung. „Es war etwas Großes, auf dem Platz die Hymne zu hören. Wir hatten eine tolle Mannschaft mit dem Kern der WM-Siegerelf von 1990, dazu die Spieler aus der ehemaligen DDR um Matthias Sammer“, erinnert sich Beiersdorfer. Auch beim Rückspiel in Belgien ist er im Kader. Auf Abruf, weil daheim die Geburt seiner ersten Tochter bevorsteht. Ein rechtzeitiger Rückflug scheitert jedoch an der Tageszeit und viel Nebel. Beiersdorfer feiert die Geburt seiner Tochter mit den Teamkollegen. „Die Rechnung bekam ich vom DFB – in entsprechender Höhe“, sagt Beiersdorfer und lacht. Im Oktober 1991 erzielt er bei einem Benefiz-Kick gegen eine Fifa-Auswahl in München ein inoffizielles Länderspieltor. Die EM 1992 verpasst er verletzt.
Beiersdorfers „Extremerfahrung“ in Karlsruhe
In seiner Amtszeit als Sportvorstand (2002 bis 2009) formt Beiersdorfer den HSV wieder zum Spitzenklub und verdient sich den Spitznamen „Dukaten-Didi“, weil er Spieler günstig ein- und teuer verkauft. In die zweite Amtszeit (2014 bis 2016; als Vorstandsvorsitzender und Direktor Profifußball) fällt ein denkwürdiger Tag deutscher Fußball-Historie. Der HSV steht am 1. Juni 2015 im Rückspiel der Relegation gegen den Karlsruher SC vor dem Abstieg. „Ein unglaublicher Druck. Das war eine Extremsituation“, erzählt Beiersdorfer. „Wir mussten uns auf das Worst-Case-Szenario vorbereiten. Den Psalm zum Abstieg hatte ich schon vor meinem geistigen Auge.“ Der Rest ist Geschichte: Marcelo Diaz und Rafael van der Vaart stehen in der Nachspielzeit beim Freistoß. Van der Vaart möchte schießen, Diaz negiert, sagt „Tomorrow, my friend!“ und versenkt den Ball zum 1:1 im Tor. Der HSV rettet durch ein 2:1 nach Verlängerung die Klasse. Beiersdorfer herzt Lewis Holtby und den Rest des Teams.
„Signore Beiersdorfer“ ist dafür zuständig
Die Erfahrungen im Ausland möchte Beiersdorfer „auf keinen Fall missen“. Als „Head of Global Soccer“ bei der Red Bull GmbH (2009 bis 2011) verpflichtet er Weltstar Thierry Henry für die New Yorker Mannschaft (Foto). Teilweise bekleidet Beiersdorfer zwölf Posten auf einmal, unter anderem den als Präsident von RB Leipzig. Die Zeit in Russland bei Zenit St. Petersburg (2012 bis 2014) sei „vor allem kulturell, aber auch medial etwas ganz anderes gewesen“. Erst nach zehn Wochen nimmt man Notiz vom neuen Sportdirektor. „Weil die Journalisten von unserem Trainer Luciano Spalletti etwas zu Transfers wissen wollten und er darauf hinwies, dass ‚Signore Beiersdorfer dafür zuständig‘ sei.“
Beiersdorfer: Seit zwei Jahren ein Schanzer
Von 2017 an erholt sich Beiersdorfer lange von gut 30 Jahren Profifußball. Nachdem es bereits 2019 schon einmal zu Verhandlungen zwischen den Schanzern und Beiersdorfer gekommen ist, beginnt er seine Mission als Geschäftsführer beim FC Ingolstadt am 9. November 2021. Erst für den Bereich Sport, seit Juni 2022 für den gesamten Klub. „Dass wir ein junger Verein mit vielen jungen Mitarbeitern sind, hält einen selbst jung.“ Für Beiersdorfer ist es „ein großes Privileg, bei den Schanzern arbeiten zu dürfen“. Beiersdorfers Frau und die jüngere Tochter leben in Hamburg, gemeinsame Zeit ist daher manchmal rar gesät. Umso gelegener kommt der Urlaub in den Bergen. „Ich habe schon meinen 50. Geburtstag erst ein Jahr später so richtig gefeiert und habe sehr gute Erinnerungen daran. Das mache ich jetzt auch zehn Jahre später so.“