Spätberufener DFB-Neuling
Marius Wolf: Bei Nürnberg warfen sie ihn mit 17 aus dem NLZ – jetzt ist er Nationalspieler

22.03.2023 | Stand 17.09.2023, 0:38 Uhr

Mit 27 Jahren zum Nationalspieler: Marius Wolf. −Foto: imagoimages

Als DFB-Neuling Marius Wolf die Glückwünsche zu seiner Nominierung von Kumpel Kevin-Prince Boateng empfing, blühte der Flachs. „Wir haben ein, zwei Späßchen gemacht“, verriet der Dortmunder über das Telefonat mit dem Hertha-Profi und berichtete schmunzelnd: „Er war auch glücklich, dass er noch ein Jahr spielen darf.“

Zur Erinnerung: Boateng, damals wie Wolf in Frankfurt, hatte 2018 im Jahr des DFB-Pokalsiegs der Eintracht gesagt: „Wenn Marius Wolf kein Nationalspieler wird, dann höre ich auf.“ Fünf Jahre später und kurz vor dem bevorstehenden Karriereende von Boateng ist es so weit: Hansi Flick hat Wolf beim Neustart der DFB-Auswahl nach der missratenen WM erstmals in seinen Kader geholt - und gleich viel vor mit dem Spätberufenen.

Wolf, immerhin schon 27 Jahre alt, soll sich als Problemlöser auf der „ewigen“ Baustelle rechts hinten erweisen. Flick hat auf der Position in seiner 19-monatigen Amtszeit schon sieben (!) Profis eingesetzt - Wolf, neben dem der Bundestrainer noch den Stuttgarter Ergänzungsspieler Josha Vagnoman für dieselbe Rolle berufen hat, dürfte gegen Peru am Samstag (20.45 Uhr/ZDF) Nummer acht werden.

Wolf über Nominierung: „Unbeschreibliches Gefühl“

„Gerade Marius auf der Außenbahn hat es sich verdient, weil er die letzten Wochen eine gute Entwicklung gemacht hat“, sagte Flick über die Nominierung und lobte die „Mentalität“ des Debütanten, der versprach: „Ich werde 100 Prozent geben wie bei Dortmund, bei mir gibt es immer nur 100 Prozent!“

Dass er dabei sein darf, nennt Wolf „ein überragendes, ein unbeschreibliches Gefühl“. Schließlich verlief sein Weg in die Nationalelf auf überaus verschlungenen Wegen, die gleich mehrfach in einer Sackgasse zu enden drohten. Aussortiert in der Jugend in Nürnberg, in die zweite Mannschaft verbannt in Hannover, zweimal verliehen vom BVB: Der Mann mit dem blonden Zopf und dem Schnauzbart bekam nichts geschenkt.

Beim Club hieß es: Zu klein, zu langsam

Gerade in der Jugend schien die Karriere vorbei, ehe sie überhaupt begonnen hat. Mit 17 Jahren wurde beim Club in Nürnberg vom NLZ weggeschickt, zu klein, zu langsam, hieß es. „Die physische Komponente war der Hauptgrund. Ich war in der U17 immer noch einer der Kleinsten. Mein Entwicklungssprung in der Hinsicht kam eben etwas später als bei anderen, das erging ja auch nicht nur mir so“, sagt Wolf, einer der Hauptdarsteller im Buch „Der große Traum“ von Roland Reng, der über Aufstieg, Erfolg und Scheitern dreier ganz normaler Fußballjungs berichtet. Bei Wolf hieß es damals in Nürnberg, es reiche nicht zum Profi. „Ich solle mich anderweitig umschauen und vielleicht lieber eine Ausbildung beginnen. Ich war gerade 17 geworden, das war schon ein harter Schlag“, erinnert sich der heutige BVB-Star.

Nach seinem Aus beim Club bekam er mit etwas Glück eine zweite Chance. Und zwar bei 1860 München. Dort war Wolfgang Schellenberg, später auch Coach des SV Wacker Burghausen, gerade neuer NLZ-Leiter geworden. Er kannte Wolf aus seiner Zeit in Nürnberg − und schenkte ihm das Vertrauen. „Wolfgang wurde mein Förderer, er hat sich intensiv um mich gekümmert und mir viele Dinge erleichtert. Ihm bin ich wirklich sehr dankbar“, sagt Wolf in einem Interview mit dem Onlinemagazin „GOAL“.

„Bei 1860 war die Ausbildung wichtiger als das Gewinnen“

Darin spricht der heutige Nationalspieler auch über die oft fehlende Geduld in Sachen Entwicklungssprüngen von jungen Spielern – und lobt ausdrücklich die Arbeit bei den Löwen. „Ich habe schnell gemerkt, dass der Fokus und die Herangehensweise bei 1860 völlig unterschiedlich zu Nürnberg waren. 1860 lebte als Verein auch ganz anders von seiner Jugendarbeit. Wenn du mit 14 einer der Kleinsten bist und gegen einen spielen musst, der fast 1,80 Meter misst, dann hast du im Zweikampf natürlich keine Chance – auch wenn deine fußballerischen Qualitäten vielleicht um einiges höher sind als die des Gegenüber. Bei den Löwen wurde viel intensiver auf den einzelnen Spieler geschaut und nicht so stark auf die Mannschaftsleistung. Die Ausbildung des Einzelnen war wichtiger als das bloße Gewinnen. Und dadurch hat dann wiederum auch die Mannschaftsleistung automatisch gepasst.“

Bei 1860 schaffte Wolf den Sprung ins Profiteam, wechselte dann zu Hannover. Der Durchbruch gelang ihm schließlich in Frankfurt. Doch auch danach lief nicht alles glatt in seiner Karriere. Im vergangenen November schreckte er mit Vorhof-Flimmern aus dem Schlaf, über seine Gedanken in diesem Moment, sagte er, spreche er „lieber nicht“ zu genau: „Das war nicht schön.“ Doch auf die Herz-OP folgte die beste Phase seiner Karriere. „Er hat bewiesen“, sagte BVB-Trainer Edin Terzic, „dass man sich bei uns mit Arbeit und Fleiß alles erarbeiten kann.“

Auch eine späte Berufung in die Nationalmannschaft. Was er dort über sieben Jahre nach seinem einzigen Junioren-Länderspiel für die U20 gegen Italien (0:2) einbringen will? „Über das Kämpferische zu kommen, zeichnet mich aus“, sagte der Mann mit den silbernen Ohrringen und über einem Dutzend Tattoos.

Den Pokal, den er an der Seite von Boateng errungen hat, ließ sich Wolf damals übrigens auf das rechte Schienbein stechen. Für die EM-Trophäe wäre aber sicher noch Platz...

− sid/red