Mit 67 Jahren kein bisschen müde
Eishockey statt Rente: Warum DSC-Coach Jiri Ehrenberger noch lange nicht genug hat

13.12.2022 | Stand 17.09.2023, 8:35 Uhr

Natürliche Autoritätsperson: Ehrenberger genießt ein hohes Ansehen in seiner Mannschaft – weil er Härte mit Menschlichkeit verbindet. −Foto: Roland Rappel

Von Alexander Augustin

Er war Trainer und Sportdirektor in der Deutschen Eishockey-Liga, Meister mit dem ERC Ingolstadt. Jiri Ehrenberger muss keinem mehr etwas beweisen. Im Alter von 67 Jahren hat er seinen Vertrag beim Deggendorfer SC verlängert. Porträt eines Mannes, der noch lange nicht genug vom Eishockey hat.

Er kennt dieses Foto, das die 1993er-Version von ihm zeigt. Jiri Ehrenberger blickt es an, lacht laut auf, sagt: „Schöne lila Jacke.“ Fast 30 Jahre ist dieser Schnappschuss her, auf dem er als Trainer des Deggendorfer EC taktische Anweisungen auf eine Tafel malt. Die Trendfarben haben sich seither mehrfach geändert, auch Ehrenbergers sportliches Leben hat die eine oder andere Wendung genommen. Er war Eishockey-Trainer, Sportdirektor, in der DEL, der 2. Liga. Mit dem ERC Ingolstadt war er Deutscher Meister, beim EV Landshut Trainer des Jahres in der DEL2. Ehrenberger ist 67, Rentenalter. Vor drei Wochen hat er seinen Vertrag beim Deggendorfer SC bis zum Ende der Saison 2023/23 verlängert. Weil er nicht genug bekommt vom Eishockey?

„Es fühlt sich schon so an, als würde sich ein Kreis schließen“, sagt Ehrenberger. In seiner kleinen Trainerkabine, die mehr Kammer als Zimmer ist, empfängt er in Sportkleidung. Kurze Hose, Oberteil, gedeckte Farben. Die lila Jacke gibt es längst nicht mehr, den Deggendorfer EC – zumindest auf dem Papier – auch nicht. Von 1993 an war der gebürtige Tschechoslowake drei Jahre dessen Cheftrainer. Knapp drei Jahrzehnte später ist er es wieder, seit November 2021. Aus dem „E“ ist ein „S“ geworden. Aus der Taktiktafel ein Laptop. Und aus Ehrenberger?

Liegestützen für ungenaue Torschüsse? „Weiß nicht, ob ich das jemals gemacht habe“

Noch heute erzählt man sich im DSC-Umfeld vom Schleifer, der seine Spieler Liegestützen machen ließ, wenn sie im Training das Tor nicht trafen. „Ich weiß nicht, ob ich das wirklich jemals gemacht habe“, widerspricht er eher halbherzig. „Wenn du jung bist, bist du vielleicht etwas wilder.“ Das Eishockey und seine Trainingsmethoden haben sich verändert. „Heute versuchst du, die Spieler zu führen und nicht nur Befehle zu erteilen. Damals war das noch etwas offener, wenn man das so sagen kann.“

Ein Schleifer ist Ehrenberger nicht mehr, den Anspruch hat er aber nicht abgelegt. „Ich versuche professionell zu arbeiten, das war immer mein Job und das ist er auch hier in Deggendorf.“ Im Sommer, als der DSC zu einem Showtraining geladen hatte, rieben sich die Fans die Augen angesichts der Intensität, mit der der Trainer seine Spieler übers Eis scheuchte. „Das wollten die Spieler so“, sagt Ehrenberger und lacht herzhaft. Stimmt natürlich nicht. Training ist Training. „Die erfahrenen Spieler sollten nicht bequem werden und den Jungen muss man Geduld beibringen. Wenn man als Trainer sieht, dass bei dem ein oder anderen die Bereitschaft fehlt, muss man handeln.“ Auch die Show ist bei Ehrenberger harte Arbeit.

Genau deswegen schätzen sie ihn hier an der Trat. Die ehemaligen DEL-Spieler um Rene Röthke und die Pielmeier-Brüder Timo und Thomas führt er mit natürlicher Autorität. Der Nachwuchs bekommt viel Eiszeit. Die Jugend fördern, ein elementarer Bestandteil von Ehrenbergers Philosophie. So hat er angefangen, vor ziemlich genau 40 Jahren in Deggendorf.

Ehrenbergers Flucht aus der CSSR: „Wollten ein Leben ohne Politik führen“

Anfang der 80er hat Ehrenberger die Schnauze voll. An der Universität in Prag hat er gerade sein Studium abgeschlossen, ist jetzt Diplom-Trainer, Schwerpunkt Eishockey. In der damaligen Tschechoslowakei hat er in der 2. Liga gespielt, aber sich schon in seinen Zwanzigern für eine Trainerlaufbahn entschieden. Doch in der CSSR hat es Ehrenberger immer schwerer. Weil er unbequem ist, seinen Mund nicht hält, wie er es heute selbst formuliert. „Ich hatte einen super Job, aber ich habe immer meine Meinung gesagt, das hat meiner Familie Schwierigkeiten eingebracht, wir haben zum Beispiel keine Wohnung bekommen.“ Ehrenberger und seine Frau beschließen zu fliehen, in das Land ihrer Vorfahren. „Wir wollten ein Leben ohne Politik führen.“ Sie überwinden den Eisernen Vorhang und lassen sich zunächst in München nieder – bis er in Deggendorf einen Job als Nachwuchstrainer bekommt. Seither ist die Stadt seine Heimat. „In Sachen Lebensqualität geht es nicht viel besser“, sagt er.

1982 ist das. Thomas Greilinger (41) ist da gerade auf die Welt gekommen. Heute ist er Ehrenbergers spielender Sportdirektor. Die beiden haben eine besondere Verbindung. In Ingolstadt sind sie 2014 Deutscher Meister geworden, Ehrenberger als Sportdirektor, Greilinger als spielende Legende. Heute feilen sie gemeinsam an der Zukunft des DSC, die langfristig in der DEL2 liegen soll. „Einen besseren Trainer wirst du für Deggendorf nicht finden“, sagte der Stürmer vor einem halben Jahr über Ehrenberger.

DSC-Lobeshymnen auf Ehrenberger: „Bestmöglicher Trainer für Deggendorf“

Beim DSC sprechen sie in höchsten Tönen über ihren Trainer. „Wir sind uns sicher, mit Jiri den bestmöglichen Trainer für Deggendorf an der Bande zu haben“, gab Prokurist Stefan Liebergesell bei Ehrenbergers Vertragsverlängerung zu Protokoll. Weil er sich auch im Rentenalter noch aufopfert für den Verein. Oft ist er der Erste in der Halle und der Letzte, der geht. „Das bin ich so gewohnt“, sagt er. „Wenn es keine Arbeit mehr gibt, gehe ich heim. Stunden zähle ich nicht.“

Eigentlich, gibt Ehrenberger zu, habe er 2019 ja wirklich in Rente gehen wollen. Er war gerade von seinem Engagement beim Zweitligisten Ravensburg nach Deggendorf zurückgekehrt. Pläne: Zeit mit der Frau verbringen, Mountainbiken. Und natürlich auch ein bisschen Eishockey schauen. Geht ja nicht ohne. Dann ruft Thomas Greilinger an, der Ersatz für den gerade entlassenen Chris Heid sucht. Als er im November 2021 beim DSC übernimmt, ist das eine Herzensangelegenheit. „Es war nicht so, dass ich erst einmal zwei Wochen Bedenkzeit gebraucht hätte.“ Ein Dienst am Verein, der Stadt, den Fans. Ehrenberger soll die Saison zu einem guten Ende führen, bringt den DSC in die Playoffs – und macht weiter. „Schon wieder ein Jahr rum“, sagt Ehrenberger mit seiner Bass-Stimme. Mindestens eineinhalb Jahre sollen noch dazu kommen. Ehrenberger wird dann 69 sein. Und dann? „Man muss auch gesund bleiben“, sagt er und klopft auf die Holzbank, auf der er sitzt. „Ich fühle mich aber überhaupt nicht abgenutzt. Die Arbeit muss Spaß machen und das ist hier der Fall. Im Erfolgsfall ist natürlich auch einiges leichter.“

Nach dem ungefährdeten Sieg am Sonntag gegen Klostersee ist der DSC als Dritter der Südstaffel auf dem besten Wege, sich das Heimrecht in den Oberliga-Playoffs zu sichern. Als krönender Abschluss einer Trainerkarriere in die DEL2? „Wenn der Weg nach oben gehen sollte, werden wir uns nicht verstecken“, sagt Ehrenberger. „Aber die Konkurrenz hat aufgerüstet, sowohl bei uns in der Süd-Staffel als auch im Norden. Wir versuchen, mit unserer Mischung aus erfahrenen und frischen Spielern, den Fans attraktives Eishockey zu bieten.“