Zahnarzt in einem Eishockey-Klub ist ein unerwartet blutiger Beruf. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb geht Ulf Meisel (43) seiner Aufgabe bei den Nürnberg Ice Tigers seit fünf Jahren mit besonders viel Leidenschaft nach. Zusammen mit Zwillingsbruder Mark verpasst er kaum ein Heimspiel, um eine perfekte Versorgung der Spieler zu garantieren. Der Job geht dabei weit über einen beschädigten Zahn hinaus.
Hallo Herr Meisel, wie wird man eigentlich Zahnarzt eines Eishockey-Teams?
Ulf Meisel: Das ist tatsächlich eine längere Geschichte. Spieler der Ice Tigers sind schon zu uns in die Praxis gekommen, bevor wir die offiziellen Team-Zahnärzte wurden. Niklas Treutle und Marius Möchel haben dafür gesorgt, dass es immer mehr wurden. Nach dem Aus von Hauptsponsor Thomas Sabo hat uns Geschäftsführer Wolfgang Gastner gefragt, ob wir das machen wollen. Darauf sind wir sehr stolz!
Was bedeutet Ihnen dieser Klub?
Meisel: Eishockey begleitet mich schon seit drei Jahrzehnten: Ich gehe seit Anfang der 90er Jahre zum Hockey, hatte damals im Lindestadion eine Dauerkarte und seitdem viel miterlebt. Die Emotionen bei diesem Sport und rund um die Ice Tigers haben mich immer begeistert.
Was ist der Hauptgrund für Schäden an den Zähnen der Hockey-Spieler?
Meisel: Eigentlich sind es Pucks und Schläger, Faustkämpfe eigentlich gar nicht. Wir hatten erst einen Spieler, dessen Zähne wir nach einer Schlägerei richten mussten. Das war damals in München mit Nick Welsh gegen Patrick Hager. Ich war zufällig auswärts dabei, wurde in die Kabine gerufen und habe Nick die Zähne in Position gebracht – und das ohne Spritze. Man muss wissen: Sobald ich einem Spieler eine Betäubung gebe, sind sie raus aus dem Spiel. Weil sie nichts mehr spüren, könnten sie sich versehentlich die Zunge oder die Lippe abbeißen.
Sind Eishockey-Spieler in Sachen Schmerztoleranz anders gestrickt?
Meisel: (Lacht) Hockey-Spieler sind einfach harte Sportler, das ist unfassbar. Ein Beispiel: Bei einem Heimspiel hat Münchens Korbinian Holzer mal einen Puck ans Kinn bekommen. Seine Gesichtshaut war sternförmig aufgeplatzt, sogar der Muskel lag frei. Ich musste ihm in der Kabine nicht nur den Cut mit 18 Stichen zunähen, sondern auch den Muskel. Alles ohne Betäubung. Letzte Saison mussten wir unseren Constantin Braun insgesamt fünf- oder sechsmal nähen. Jeder Eishockey-Spieler fragt immer nach, wie viele Stiche es waren. Das ist für sie wie eine Auszeichnung und ein Beweis dafür, wie hartgesotten sie sind.
Das heißt, Sie kümmern sich nicht nur um verlorene Zähne, sondern um alles andere auch?
Meisel: Der Hauptteil während eines Spiels sind tatsächlich weniger die Zähne, sondern eher Weichteilverletzungen, also Bereiche wie die Wange, Zunge, Lippen, das Auge, Kinn oder Ohr. Einmal ist bei einem Gegenspieler nach einem geblockten Schuss das Schienbein aufgeplatzt. Auch das konnten wir versorgen.
Doch nicht jeder Zahnarzt kann einem das Gesicht oder das Schienbein wieder zusammenflicken oder?
Meisel: (Lacht) Schön, dass Sie fragen: Mein Bruder und ich waren für drei Jahre in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Erlangen, auch haben wir eine Zusatzausbildung in Oralchirurgie. Da lernt man so etwas. Auch in unserer Praxis liegt der Schwerpunkt auf der Chirurgie, also Weisheitszahn-OPs, Knochenaufbauten oder Implantate. Natürlich machen wir auch Kronen und Füllungen.
Beim typischen „Hockey-Smile“ dürfen Zahnlücken nicht fehlen. Wie wichtig sind einem Eishockey-Spieler denn die eigenen Zähne?
Meisel: Die eigenen Zähne sind ihnen extrem wichtig. Sie wollen sie so lange wie möglich behalten. Passiert dann doch etwas, gibt es meist nach der Karriere eine Generalüberholung. Deswegen wird auch ein spezieller Schutz nachgefragt. Wir sind Sport-Zahnärzte, eine weitere Zusatzausbildung, die es uns erlaubt, Sport-Performance-Zahnschienen anzufertigen. Diese können die Konzentrationsfähigkeit oder die Antrittsschnelligkeit fördern und noch ein paar Prozentpunkte herausholen.
Beim Fußball gibt es immer einen Arztkoffer am Spielfeldrand. Habt Sie so etwas auch im Einsatz?
Meisel: Wir haben einen riesigen, eigens zusammengestellten Arztkoffer, sozusagen eine mobile Zahnarztpraxis. Da ist alles drin, was wir brauchen, um die Spieler beider Mannschaften lokal zu versorgen.
Gab es schon Fälle, die auch Sie nicht lösen konnten?
Meisel: (Überlegt lange) Nein. Wobei, vielleicht gibt es da doch einen: Hayden Shaw hatte einen Schläger ins Gesicht bekommen, hat das Spiel aber trotz eines dreifachen Kieferbruchs noch beendet. Weil die Kiefer nicht mehr zusammengepasst haben, musste er stationär im Krankenhaus aufgenommen und dort operiert werden. Das war also nicht mehr unser Zuständigkeitsbereich.
Was waren denn die schlimmsten Verletzungen, die Sie behandeln mussten?
Meisel: David Trinkberger hatte einen abgefälschten Schlagschuss ins Gesicht bekommen und stark geblutet. Es war Samstag, also wurde ich angerufen, ob ich ihm in der Praxis treffen könnte. Da stand er dann mit einem Karton voller Zellulose vor dem Gesicht. Alles war aufgeweicht vor lauter Blut. Seine Lippe war dreifach aufgerissen und drei Zähne waren nach außen weggebogen, wodurch auch noch der Kiefer bis in Kieferhöhle hinein gebrochen war. Die Operation dauerte dreieinhalb Stunden. Als wir fertig waren, ist „Trinki“ aufgestanden und hat gefragt, ob er morgen wieder spielen darf, was er dann übrigens auch getan hat.
Was war denn Ihr kuriosester Fall?
Meisel:Das war in der letzten Playoff-Serie von Patrick Reimer. Ich bin extra für dieses Spiel an einem Dienstagabend 700 Kilometer nach Bremerhaven gefahren. Doch es hatte sich gelohnt: „Reimi“ wurde von einem Puck im Gesicht getroffen und hatte einen Cut an der Wange. Wir haben ihn dann in der Pause genäht. Dass er mich in seiner letzten Saison, in einem seiner letzten Spiele nochmal gebraucht hat, war etwas ganz Besonderes.
Wie dankbar sind Hockey-Spieler für Ihre Arbeit?
Meisel: Sie sind unfassbar dankbar dafür, dass sie eine zuverlässige Anlaufstelle haben. Wir haben im Laufe der Jahre einen starken Zusammenhalt entwickelt. (Ex-Trainer) Tom Rowe hatte mich beispielsweise eingeladen, bei Auswärtsspielen mit hinter der Bande zu stehen. Es war faszinierend, das zu sehen und hat mir enorm viel bedeutet. Tom reist bis heute aus Frankfurt an, um seine Zähne bei mir machen zu lassen. Gleiches gilt für Ex-Co-Trainer Manuel Kofler und Gregor MacLeod, die beide aus Köln angereist kommen. Mein längster Patient ist Daniel Fischbuch. Wir wurden damals enge Freunde. Egal, wo er seitdem gespielt hat, kam er immer wieder zurück zu uns. Das hat auch etwas mit Wertschätzung und Dankbarkeit zu tun.
Sie arbeiten im wahrsten Sinne nah am Patienten. Wie eng wird da der Kontakt zur Mannschaft?
Meisel: Das Persönliche gehört immer dazu. Du lernst alle Spieler besser kennen und schätzen. Wir selbst bringen auch Spaß in die Kabine und machen unsere Witze. Auch die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Physios ist sehr eng.
Stürmen auch Ice-Tigers-Fans eure Praxis, seitdem Sie die offiziellen Team-Zahnärzte sind?
Meisel: Ja, das ist deutlich zu spüren. Ich würde sagen, es gibt einige Patienten, die nur deshalb zu uns kommen. Ich denke, es liegt daran, dass sie davon ausgehen, dass wir etwas können müssen, weil wir auch die Ice Tigers betreuen.
Sie hatten als einzige die Möglichkeit, dem aktuellen Kader buchstäblich auf den Zahn zu fühlen. Was reißen die Ice Tigers in der kommenden Saison?
Meisel: In der Vorbereitung habe ich noch nicht viele Spiele gesehen. Von den Spielern habe ich das Feedback bekommen, dass der neue Trainer Mitch O’Keefe hart trainieren lässt, sehr fokussiert und zielgerichtet arbeitet. Das Entscheidende ist aber - und das spüre ich jetzt schon -, dass ein guter Teamgeist herrscht. In der Kabine merkst du sofort, ob dort Spannung oder Harmonie herrscht. Die Jungs sind Kumpels und haben Spaß zusammen, was ganz wichtig ist für Team-Sport. Du merkst also sofort, ob es passt oder nicht passt, dafür brauchst du keine vier Wochen. Ich glaube, dass mit diesem Kader Platz sechs möglich ist und wir um die Playoff-Plätze mitspielen können.
Zu den Kommentaren