Fast hätte sich Marco Sturms großer Traum im Frühjahr erfüllt – denn er stand kurz vor einem Engagement als Cheftrainer beim NHL-Klub San Jose Sharks. Dort startete der Niederbayer als 18-Jähriger einst seine Eishockey-Karriere in Nordamerika. Doch die Sharks entschieden sich letztlich für Ryan Warsofsky. Im exklusiven Gespräch mit der Mediengruppe Bayern hat Sturm diese Enttäuschung mittlerweile verdaut und blickt voller Zuversicht in die Zukunft. Außerdem äußert sich der 45 Jahre alte Dingolfinger zu Themen wie dem Abschneiden der deutschen Olympia-Mannschaft in Paris und den US-Wahlen im November.
Herr Sturm, Sie haben mit Sicherheit die Olympischen Spiele in Paris verfolgt. Was war Ihr persönliches Highlight?
Marco Sturm: Wenn ich ehrlich bin, habe ich die Spiele jeden Tag vor dem Fernseher verfolgt. In Amerika waren natürlich die Sportarten, die viele Medaillen versprachen, bei den Sendern höher im Kurs. Generell bin ich ein Fan der Olympischen Spiele, weil man da auch Sportarten sieht, die sonst nicht so viel Fernsehzeit bekommen. Begeistert haben mich die Leichtathletik-Wettkämpfe, das Turnen mit Simone Biles, und auch Basketball wurde viel und oft bei uns geschaut.
Deutschland hat historisch schlecht abgeschnitten. Sie leben nun seit mehr als 20 Jahren in den USA. Hat der Sport dort eine weitaus höhere Stellung in der Gesellschaft? Und was müsste sich in Deutschland ändern, damit wieder mehr Erfolge gefeiert werden können?
Sturm: Ach, da könnte ich jetzt stundenlang mit Ihnen philosophieren. Es ist nun mal Fakt, dass der Sport in Amerika einen ganz anderen Stellenwert in der Gesellschaft hat. In jeder Bar läuft Sport – und zwar rund um die Uhr. Demzufolge wollen die Kinder etwas erreichen und berühmt werden. Die Förderung ist hier in Amerika nicht zu vergleichen mit Deutschland. Das fängt schon bei den finanziellen Mitteln in den Highschools und Colleges an und hört bei so Kleinigkeiten wie einem sehr professionellen Schulsport auf. Da hinken wir meilenweit hinterher in Deutschland. Ich sehe es allein bei meinen Kindern, was in Amerika in den Schulen auf die Beine gestellt wird. Das ist der absolute Wahnsinn, da muss sich in Deutschland noch einiges ändern, dass man da zumindest ein wenig mithalten kann. Zudem ist man in Amerika stolz auf seine Helden, in Deutschland regiert oftmals der Neid. Es muss sich somit grundlegend etwas ändern.
Nun zu Ihnen: Im Frühjahr waren Sie in der finalen Auswahl um den vakanten Trainerposten beim NHL-Klub San Jose Sharks. Haben Sie die Absage mittlerweile verdaut?
Sturm: Natürlich war die Enttäuschung kurz nach der Entscheidung sehr groß. Wenn man kurz vor der Ziellinie gestoppt wird, ist das völlig legitim. Auf der anderen Seite hat allein dieser lange Auswahlprozess doch bewiesen, dass ich sehr gute Arbeit bei meiner ersten Cheftrainerstation in Nordamerika gemacht haben muss.
Ist der Ehrgeiz nun noch größer, irgendwann diesen Traumjob in der besten Eishockey-Liga der Welt zu ergattern?
Sturm: Auf alle Fälle. Ich habe bereits vor der vergangenen Saison gemerkt, dass ich bereit bin für einen Cheftrainerposten in der NHL. Dass ich danach bei den San Jose Sharks im Gespräch gewesen bin, ist im Nachhinein auch dem Zufall geschuldet. Trotzdem ist der Hunger in mir sehr groß. Ich werde weiter hart arbeiten, um mir diese Chance zu verdienen. Zumindest kann ich sagen, dass sich meine Jungs bei Ontario Reign freuen, dass ich noch da bin. Das ist ja auch nicht schlecht (lacht).
Ist Geduld in Ihrer Situation der beste Berater – oder muss man auch aktiv für sich werben?
Sturm: Ein wenig von beidem. Im Hintergrund ist mein Berater natürlich aktiv und will das Beste für mich erreichen. Auf der anderen Seite ist auch Geduld gefragt, denn es kann zum Beispiel auch unter der Saison schnell gehen und ein Posten frei werden. Wichtig ist in der heutigen Zeit zudem, dass man in den Sozialen Medien vertreten ist. Das ist mir in der vergangenen Saison gut gelungen.
In der kommenden Saison fungieren Sie nun weiterhin als Cheftrainer von Ontario Reign, dem Farmteam der Los Angeles Kings. In den vergangenen beiden Jahren ging es unter Ihrer Führung stetig bergauf. Wäre der Titel zum Ende der Vertragslaufzeit das große Ziel?
Sturm: Das muss man ein wenig differenzierter sehen. In der kommenden Saison werden meine besten Spieler zu den Los Angeles Kings in die NHL hochgezogen. Somit wird die kommende Saison eine große Herausforderung werden. Primäres Ziel wird auch weiterhin sein, dass ich meine Jungs auf die NHL vorbereite. Dann habe ich einen guten Job gemacht.
Was trauen Sie den Kings in der NHL zu?
Sturm: Die Aufbauphase ist schon längst abgeschlossen. Deswegen war die Organisation mit dem Abschneiden in der vergangenen Saison nicht zufrieden. Demzufolge wurde auch ein neuer Cheftrainer geholt, und der Druck nimmt zu. Jetzt geht es ums Gewinnen, denn der Anspruch ist gestiegen.
Kurz zu einer Eishockey-Legende: Jaromir Jagr spielt mit 52 Jahren seine letzte Saison in der tschechischen Liga. Sind Sie manchmal ein wenig neidisch, da Sie Ihre Karriere aufgrund von Verletzungen viel zu früh beenden mussten?
Sturm: Ich komme gerade von einer Trainingseinheit mit meinen beiden Kindern und bin fix und fertig (lacht). Somit bin ich nicht neidisch auf Jaromir Jagr, denn man muss als Profisportler den richtigen Absprung finden. Ob dies Jagr gelungen ist, kann und will ich nicht beurteilen. Natürlich hat er eine große Liebe und Leidenschaft für den Sport. Er ist eine absolute Legende, aber mit 52 Jahren würde ich nicht mehr spielen wollen.
In diesem Jahr wurde kein deutscher Spieler von einem NHL-Klub gedraftet. Ist die kleine Eishockey-Euphorie in Deutschland nach der Olympia-Silbermedaille schon wieder verflogen?
Sturm: Der Erfolg fliegt einer Nation wie Deutschland nicht zu. Die vergangenen fünf bis zehn Jahre ist sehr viel Positives passiert, aber auf diesen Erfolgen darf man sich nicht ausruhen. Es muss hart gearbeitet werden, damit man wieder einen kleinen Schritt nach vorne machen kann. Talente wie Leon Draisaitl, Moritz Seider oder Tim Stützle wachsen definitiv nicht auf den Bäumen. Die bekommt man nur durch eine konsequente und stetige Nachwuchsarbeit.
Zum Abschluss noch eine Frage abseits des Sports. In den USA wird in wenigen Monaten ein neuer Präsident gewählt. Wie ist die Stimmung im Land?
Sturm: Das ist natürlich Thema Nummer eins in den Medien. Das liegt zum großen Teil auch am Auftreten und der Persönlichkeit von Donald Trump, der ja nicht für die leisen Töne bekannt ist (lacht). Nach dem Rücktritt von Joe Biden geht es jetzt nicht nur um die Frage, ob man die Republikaner oder Demokraten wählen soll. Auch das Duell zwischen einer Frau und einem Mann ist ein großes Thema für die Medien. Aber ich traue es Kamala Harris zu, dass sie die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten wird.
− mgb
ZUR PERSON
Der Dingolfinger Marco Sturm (45) startete seine Eishockey-Karriere beim EV Landshut, ehe er 1996 von den San Jose Sharks aus der NHL in der Talenteziehung ausgewählt wurde. Insgesamt lief er als Stürmer 1006-mal in der besten Liga der Welt auf (509 Scorerpunkte). Die Lock-out-Saison 2004/05 überbrückte er beim ERC Ingolstadt, mit dem er deutscher Pokalsieger wurde. Nach dem Ende seiner aktiven Karriere 2013 wurde Sturm Trainer und führte die deutsche Nationalmannschaft sensationell zu Olympia-Silber 2018 in Südkorea. Im Anschluss arbeitete er als Assistenztrainer der Los Angeles Kings in der NHL und seit 2022 als Cheftrainer von Ontario Reign in der AHL.
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