DK-Interview des Monats
Ex-NHL-Trainer Ralph Krueger über eine Handyrechnung von 5000 Franken und Ralph Hasenhüttl

23.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:45 Uhr

Ralph Krueger damals. Foto: Imago Images

Er machte mit der Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft per SMS das Unmögliche möglich, schrieb einen Bestseller, trainierte zwei NHL-Klubs – doch Ralph Krueger war auch Vorstandsboss der Fußballer des FC Southampton und holte Ralph Hasenhüttl in die Premier League. Der 63-Jährige über die Kraft von Metaphern, Motivation und Hans Zach.

Herr Krueger, wie sehr blutet Ihr Herz, weil der FC Southampton aus der Premier League abgestiegen ist?
Ralph Krueger: Es tut extrem weh. Als erstes denke ich an die Fans und die Mitarbeiter. In meiner Zeit sind wir von 200 auf 400 Mitarbeiter gewachsen. Ich habe mit einigen noch guten Kontakt. Es ist schwer für mich, das von außen zu beobachten. Diese Schmerzen kennen wir in Nordamerika nicht! (lacht) Wenn du dort Letzter wirst, wirst du mit dem ersten Draftpick belohnt.

Krueger: So war das in Southampton mit Hasenhüttl
Sie waren gut fünf Jahre lang Vorstandsvorsitzender des Klubs und haben Ralph Hasenhüttl auf die Insel geholt. Haben Sie den schon beim FC Ingolstadt gescoutet?
Krueger: Ganz klar. Mein Schwiegersohn hat im Nachwuchs des 1. FC Kaiserslautern gespielt. Er ist kein Profi geworden, aber hat als Scout für Southampton gearbeitet. Er hat mich auf Ralph aufmerksam gemacht, lange bevor wir ihn geholt haben. Er ist ein ausgezeichneter Coach und war für uns damals der absolut Beste und Richtige. Wir haben immer noch eine freundschaftliche Beziehung.

Sie sind selbst mit Leib und Seele Eishockey-Trainer. Doch „als Trainer hätte ich mich selber nicht unbedingt in der Mannschaft haben wollen“, haben Sie mal gesagt. Warum nicht?
Krueger: (lacht) Rückblickend weiß ich, dass ich nicht an meine Grenzen gegangen bin. Ich bin dankbar, habe eine gute, solide Karriere in Deutschland gehabt. Aber ich habe nicht alles gemacht, was ich als Trainer von meinen Spielern verlangt habe. Auf dem Eis gaben wir alles, aber abseits davon haben wir wenig gemacht im Vergleich zu heute.

War auch Ihre schwere Verletzung als Düsseldorfer Jungprofi beim Spengler-Cup 1979 schuld daran, dass Sie nicht immer das Letzte aus sich rausgeholt haben?

Krueger: Schlittschuhläuferisch war ich nicht schnell genug für die NHL. Die Bundesliga war eine tolle Liga für mich, aber mein Körper hat nicht so mitgemacht. Es begann 1979 (nach einer Gehirnerschütterung brach Krueger im Teamhotel zusammen und erlitt beim Sturz einen Schädelbruch; d. Red.). Das hat mich ein bisschen verfolgt. Danach hatte ich auch noch einige Gehirnerschütterungen. In Füssen bekam ich mal einen Faustschlag gegen den Kopf und wusste auf der Bank nicht mehr, wo ich bin. Nach fünf Minuten war es etwas besser, und ich habe das Spiel noch zu Ende gespielt. Heute wäre das zum Glück nicht mehr möglich. Später in meiner Karriere hat mir dann mein Rücken zu schaffen gemacht.

Krueger: So liefen Ausbootungen damals
Als in Kanada geborener Sohn eines Auswandererpaares aus Hamburg spielten Sie mit der deutschen Nationalmannschaft zwei WM-Turniere. Bis Sie per Zettel an Ihrem Spind erfuhren, nicht mehr gebraucht zu werden.
Krueger: Damals wurde nicht so viel kommuniziert, es gab kaum Gespräche. Man ist an die Tafel gerannt und hat geschaut, ob sein Name darauf stand. Es stimmt, ich wurde abserviert, habe auch Olympia verpasst. Aber diese zwei WM-Turniere mit Deutschland haben mir so geholfen, als ich selbst Nationaltrainer war. Das hat mir einen größeren Hunger als Trainer gegeben. Für mich ist Respekt eines der wichtigsten Worte. Ich musste in Southampton auch einige Leute entlassen, aber wann immer möglich mit Augenkontakt und Begründung.

Als Spieler arbeiteten Sie einen Tag pro Woche in einem Hotel. Der Job als Hotelmanager in Texas war aber dann nichts für Sie.
Krueger: Ich war gegen Ende meiner Karriere zwei Jahre Spielertrainer gewesen, die Erfahrung saß tief. In Texas schaute ich dann einem Kollegen zu, der eine Basketballmannschaft trainierte. Ich dachte: Das ist es! Ich will trainieren, lehren! Der Sport zog mich wie ein Magnet zurück.

Wie Krueger das Eishockey in Österreich aufmischte
Sie wurden 1991 Coach in Feldkirch – und führten den Klub aus Vorarlberg zu fünf Meistertiteln in Folge und einem Europacup-Sieg. Wie haben Sie das gemacht?
Krueger: In Feldkirch gab es ein leidenschaftliches Eishockey-Umfeld, der Klub war in der Vergangenheit schon Meister gewesen. Wir waren die Ersten im Eishockey, die das Bosman-Urteil ausnutzten. Wir haben davon profitiert und ein sensationelles Team mit tollen Charakteren gebaut. Bengt-Ake Gustafsson und Thomas Rundqvist wollten eigentlich aufhören, aber ich habe sie überredet, noch weiterzumachen. Sie spielten ohne große Verhandlungen, das ging alles per Handschlag. Die beiden waren wie meine Assistenztrainer.

Nach einer Niederlagenserie sollen Sie Ihre Spieler dazu verpflichtet haben, ihre Namen auf die Schlägerblätter zu schreiben und die Schläger anschließend im Fluss zu versenken. Wie kommt man auf sowas?
Krueger: Ich habe immer versucht, gemeinsam mit den Spielern Metaphern zu finden. In diesem Fall war die Idee, von schwierigen Zeiten loszulassen. Ich sehe es noch genau vor mir, wie wir am Fluss standen (lacht). Das war, bevor wir erstmals Meister wurden, es war ein Schlüsselmoment. Gewinner werden in schwierigen Zeiten geboren. Die Erfahrungen, die wir dort sammeln, bringen uns zum Erfolg.

Vor der WM 1998 übernahmen Sie die ziemlich mittelmäßigen Schweizer – und wurden völlig überraschend Vierter. Bei der WM 2000 drohte trotzdem der Abstieg, und Sie griffen erneut in die psychologische Trickkiste: Sie schrieben „die wichtigste SMS der Schweizer Sportgeschichte“, wie es heißt.
Krueger: Wir mussten unbedingt gegen Gastgeber Russland gewinnen. Am Morgen vor dem Spiel suchte ich nach einer guten Metapher. Ich saß da mit meinem riesigen Telefon, so groß wie heute ein iPad. Es war die erste WM, bei der alle Spieler bis auf einen ein Handy hatten. Da kam mir die Idee, und ich verschickte an alle Spieler und Betreuer den Text: „Glaube an das Unmögliche, und das Unmögliche wird möglich!“ Vor dem Spiel habe ich fast nichts mehr gesagt.

Als Krueger mit der Schweiz das Unmögliche möglich machte

Sie hatten einen Nerv getroffen, das Unmögliche wurde tatsächlich möglich: Die Schweiz gewann.

Krueger: Wer weiß, ob die SMS ein oder 20 Prozent ausgemacht hat. Aber es geht ums Prinzip: Es ist die Aufgabe von Führungspersonen, von Trainern und Eltern, Mut zu machen, auch an schwierige Träume zu glauben. Als wir gewonnen hatten, zeigte Verbandspräsident Werner Kohler der Presse sein Handy. Dann ging die Geschichte viral – für damalige Verhältnisse (lacht). Dieser Satz wird wohl immer mit mir verbunden bleiben, in der Schweiz ist er fast ein geflügeltes Wort. Es war aus verschiedenen Gründen wirklich ein historischer Moment. Im Jahr 2000 musste man für Textnachrichten, vor allem im Ausland, ja noch richtig zahlen. Ich glaube, dass meine Handyrechnung 5000 Franken betrug – ohne zu telefonieren. Aber Swisscom hat mir später 10000 Frei-SMS geschenkt (lacht).

Ist es eine Ironie der Geschichte, dass Sie – 2013 von den Edmonton Oilers – als erster Trainer der Eishockey-Geschichte per Skype gefeuert wurden?
Krueger: Es ist ein Running Gag geworden, dass ich leider kein Skype mehr nutze (lacht). Aber auch solche Erfahrungen gehören zu einem Leben im Sport.

Sie zitieren Shakespeare und lieben Philosophie. Mit Ihrem Motivationsbuch „Teamlife“ wurden Sie 2001 zum Bestsellerautor. Weil Sie darin erklärten, dass Sie Kraft aus der Natur schöpfen, wurde Ihnen ein Hang zur Esoterik nachgesagt. Stört Sie das?
Krueger: Überhaupt nicht. Das behaupten nur Leute, die es nicht verstehen. Ich habe die Kritiker aber auch immer umarmt, weil sie mich zum Denken gezwungen haben. Wenn ich jemandem irgendetwas mitgeben kann, um die Qualität seines Lebens zu verbessern, bin ich glücklich. Aber ich habe nie jemanden zu etwas gedrängt.

Ihre Teams traten stets sehr strukturiert auf, und wenn man dem aktuellen ERC-Ingolstadt-Trainer Mark French zuhört, klingt auch verbal vieles sehr nach Ihnen. Er spricht von Erfolg als Prozess, von Teamgeist, von positivem Denken, das zu positivem Handeln führt. Kennen Sie ihn?
Krueger: Nein. Aber das kommt alles in meinem Buch vor (lacht). Es ist schön zu hören, dass offenbar eine solche Grundphilosophie in Ingolstadt herrscht.

Sie verordneten Ihren Spielern zehn Einheiten Obst pro Tag, einen Liter Wasser pro 1000 Kalorien und den Verzicht auf Alkohol. Waren Sie ein Kontrollfreak?
Krueger: Nur konsequent. Ein Beispiel: Im Schweizer Nationalteam hatten wir am Anfang hohe Strafen für Unpünktlichkeit. Auch Patrick Fischer, der jetzige Nationaltrainer, kam mal zu spät und musste groß bezahlen. Am Ende war niemand mehr unpünktlich, weil alle Respekt für ihre Teamkollegen hatten. Die Kassen waren leer. Weil wir das Geld immer für einen guten Zweck verwendeten, mussten wir was spenden.

Klingt sehr nach Hans Zach.

Krueger: Hans und ich hatten eine spezielle Beziehung. Ich habe großen Respekt vor ihm, und ich glaube, umgekehrt gilt das auch. Wir waren beide Nationaltrainer in einer Phase des Umbruchs und haben unzählige Duelle gegeneinander bestritten. Deutschland und die Schweiz sind an dieser Rivalität gewachsen, wir brauchten einander. Hans hatte die gleiche Konsequenz und die gleiche Liebe für seine Spieler wie ich. Er war hart, aber ehrlich, und er hat sehr viel mit seinen Spielern gesprochen. Das haben damals wenige getan.

Sie wurden mehrmals als deutscher Nationaltrainer gehandelt. Warum hat es nie geklappt?
Krueger: Der Hauptgrund war meine Reise mit Southampton. Die begann im Herbst 2013. In dieser Zeit kam mehrmals die Möglichkeit, deutscher Nationaltrainer zu werden. Aber außer dem World Cup 2016 habe ich Eishockey in dieser Phase nur als Fan, Beobachter und Berater erlebt. Trotzdem hätte es mich extrem gereizt. Mein bester Eishockey-Freund in Deutschland ist Peter Lee, der bei den Eisbären Berlin einen fantastischen Job macht. Mit ihm zusammen Deutschland zu trainieren, wäre eine tolle Sache gewesen. Als die Zeit in Southampton zu Ende ging, war diese Tür nicht auf.

Der „Aargauer Zeitung“ sagten Sie mal, dass Sie sich eine Rolle in der Sportpolitik vorstellen könnten. Muss man da nicht korrumpierbar sein?
Krueger: Im vergangenen Jahr hatte ich einige Möglichkeiten, wieder als Co-Trainer in die NHL zu gehen. Aber ich bekomme jetzt mein viertes Enkelkind, und meine Frau hat es verdient, dass wir nicht mehr so oft umziehen müssen. Ich habe mir die politische Ebene angeschaut und auch einige Möglichkeiten gehabt. Das hat mich aber ehrlich gesagt nicht angezogen. Ich glaube eher, dass ich im Sommer eine Position als Aufsichtsratsvorsitzender annehme, vielleicht bei einem Klub im deutschsprachigen Raum. Das interessiert mich, es ist gut möglich, dass ich dort im Fußball das Richtige finde.

Eine letzte Frage zur laufenden WM: Sind die noch ungeschlagenen Schweizer mit der NHL-Verstärkung um Nico Hischier heuer wirklich reif für Gold?
Krueger: Ihr Start war unglaublich. Sie haben ein starkes Team, sehr gute Goalies, und jetzt kommt noch Verstärkung aus der NHL. Sie sind sicher ein großer Titelfavorit, ja.
Steckbrief
Name: Ralph Krueger

Geburtstag: 31. August 1959 in Winnipeg/Kanada

Beruf: Eishockey-Profi & -Trainer, Ex-Vorstandschef des englischen Fußballklubs FC Southampton, Autor, Vortragsredner, vier Jahre Council-Mitglied beim Weltwirtschaftsforum

Erfolge: drei Olympia- und zwölfWM-Teilnahmen mit der Schweiz, NHL-Chefcoach in Buffalo und Edmonton, fünfmal österreichischer
Meister mit VEU Feldkirch, Finale mit Team Europa beim World Cup 2016

Gut zu wissen: Sohn Justin ist ehemaliger deutscher Eishockey-Nationalspieler, Tochter Geena eine der weltbesten Wasserski-Fahrerinnen

Was er sagt: „Kein anderer Mannschaftsport kommt an die Qualität
des Eishockeys heran.“

Was man so hört: „Ralph Krueger ist ohne Übertreibung der interessanteste Mann im Eishockey.“ („Montreal Gazette“).