Eishockey und Emotionen: Ein Spiel mit dem Feuer

16.02.2019 | Stand 25.10.2023, 10:47 Uhr

Gladiatoren auf dem Eis: Gelegentliche Handgemenge machen für viele Fans den Reiz beim Eishockey aus und werden ausgiebig bejubelt. Auch hinter der Scheibe können die Emotionen hochkochen, Frust und Provokation dazu verleiten, den Wettkampf im Publikum ausarten zu lassen. Trotz aller Körperbetontheit des Sports ist Fan-Gewalt im Eishockey allerdings ein seltenes Phänomen, sagt der Soziologe Gunter A. Pilz. −Foto: Roland Rappel

Stimmung ist die Seele des Eishockey. Doch mit ihr es auch ein gefährliches Spiel. Wenn die Emotionen überkochen, kann aus Euphorie schnell Aggression werden. Tatsächlich sind Szenen, die man aus der Hooligan-Szene im Fußball kennt, im Eishockey aber eher eine Seltenheit.

Wenn sich die Fans doch zur Gewalt hinreißen lassen, kann es schnell Verletzte geben. So wie am 19. Januar 2018 in der Deggendorfer Eishalle. Der jetzige Eishockey-Zweitligist Deggendorfer SC spielte gegen den EV Landshut. Das damalige Oberliga-Spiel gewannen die Gastgeber mit 4:2, die Stimmung in Deggendorf war freilich gut. Noch lange nach Abpfiff feierten die Fans vor dem Kiosk – bis 50 Minuten nach Spielende die Stimmung kippt. Rund 40 teils vermummte Landshuter Anhänger stürmen auf die Deggendorfer zu, werfen Flaschen und Steine, beschimpfen und werden handgreiflich. Schlägereien rund ums Stadion folgen. Am Ende sind sieben DSC-Fans verletzt, einer schwer. Er musste am Boden liegend mehrere Tritte gegen den Kopf einstecken.

Eishockey: Grundaggressive Stimmung gibt es nicht

Eine Eskalation, die im Eishockey eher selten vorkomme, betont Sebastian Venus, Fanbeauftragter des DSC. "Ich gehe seit 15 Jahren ins Eishockey und ich kann die Fälle, in denen es zum Handgemenge kam, an einer Hand abzählen." Venus, der bei fast allen Auswärtsspielen mit dabei ist, kennt nicht nur die eigene, sondern auch die anderen Eishallen – und die Fans dort. Von einer grundaggressiven Stimmung könne man im Eishockey nicht sprechen, verantwortlich seien immer Einzelpersonen, so Venus. "Da spielen viele Sachen auf einen Moment zusammen. Alkohol, Gruppenzwang, ein sportliches Ereignis." Für ihn ist klar: "Gewalt in der Fanszene ist ein Spiegel der Gesellschaft."

Damit liegt er auf einer Linie mit dem Soziologen Gunter A. Pilz, der sich während seiner Zeit an der Universität Hannover am Institut für Sportwissenschaften mit dem Thema Gewalt im Sport beschäftigt hat. Er sagt, die Antwort ist ganz einfach: "In der Gesellschaft gibt es Gewalt, warum soll es sie also nicht auch im Sport geben?" Körperliche Ausschreitungen könnten viele Ursachen haben, etwa die Frustration nach einer Niederlage oder die Provokation durch den Gegner. Er teilt gewaltbereite Fans in zwei Gruppen: "Die Proll-Hools stammen aus der Unterschicht und haben ein niedriges Bildungsniveau, keine Zukunftsaussichten und deshalb ein geringes Selbstwertgefühl", erklärt Gunter A. Pilz. Sie fänden sich in Gruppen zusammen, um ihr Selbstwertgefühl durch Gewalt an anderen zu steigern. Doch auch unter Akademikern, Studenten und Bankern gebe es gewaltbereite Sportfans, sie bezeichnet Pilz als "Yuppie-Hools": "Diese Gruppe sucht in der Gewalt den letzten Kick."

Im Eishockey, so der Soziologe, käme es aber eher selten zu körperlichen Ausschreitungen im Publikum. Das liege auch an den beengten Verhältnissen in den Eishallen. Und daran, dass das Publikum ein sehr familiäres sei. Viele Frauen und Kinder seien anwesend, weshalb es äußerst selten zu Gewalt komme. "Da wo Leute glauben, sich trotzdem schlagen zu müssen, gibt es nur eine Antwort: die Polizei", betont Pilz.

Sennebogen: "Kann nicht jeden Fan nach Hause bringen"

Für die Beamten sind die Einsätze allerdings nicht ungefährlich. Das zeigt ein Vorfall in Nürnberg, bei dem sieben Polizisten nach dem Spiel der Nürnberg Ice Tigers gegen die Straubing Tigers von gewalttätigen Rockern verletzt wurden. Die stammten zwar aus Straubing, seien aber nicht Teil der Eishockey-Fangemeinde, betont Straubing Tigers-Geschäftsführerin Gaby Sennebogen. "Ich weiß nicht, was die da wollten. In Straubing sind die auch nicht im Stadion."

Am Pulverturm sieht Sennebogen wenig Potenzial für Ausschreitungen. "Mit Gewalt identifizieren wir uns auch nicht und verurteilen sie", so die Geschäftsführerin. Auswärts sei die Lage aber schwer zu kontrollieren. "Was soll man da machen, wir können ja nicht jeden einzeln nach Hause bringen." Schlussendlich sei jeder für sich selbst verantwortlich. Sie befürwortet aber die Kommunikation: "Wenn man da noch draufhaut, das bringt nichts. Man muss den Leuten die Hintergründe erklären, sie mit ins Boot holen."

Oder von Anfang an das Konfliktpotenzial rausnehmen, wie es etwa die Passau Black Hawks machen. Dort arbeitet man von vornherein deeskalierend, erklärt Pressesprecher Oliver Czapko. "Deshalb haben wir seit Jahren Ruhe." Die Fans werden schon vor dem Spiel voneinander getrennt, es gibt verschiedene Eingänge für Heim- und Gästefans. Ein Vorteil sei auch die recht große Anzahl an Ordnern, die in Passau zum Einsatz kämen.

Unterschied zwischen "richtigen Fans" und Hooligans

Dass die gemeinsam mit der Polizei durch schnelles Eingreifen Schlimmeres verhindern können, zeigte sich in Waldkirchen: Glimpflich ging es beim Landesligisten ESV Waldkirchen aus, als beim Heimspiel in der Karoli-Eishalle gegen den ERSC Amberg an die 70 der rund 250 Zuschauer beider Lager aufeinander losgingen. Die gewaltbereiten Amberger wurden des Stadions verwiesen, Verletzte gab es nicht. Weniger Glück hatten ein 17-Jähriger und eine 18-Jährige aus Vilshofen, die beim Heimspiel des Waldkirchens gegen den ESC Vilshofen verletzt wurden. Etwa 20 Personen beider Fangruppen waren aufeinander getroffen.

Waldkirchens Vorstand Edi Krutsch macht einen klaren Unterschied zwischen "richtigen Fans" und gewaltbereiten Anhängern: "Die Vorfälle waren durch mitgereiste Hooligans entstanden." In Zukunft wolle man überlegen, solche gar nicht erst in die Halle zu lassen, so Krutsch. Im Vorfeld soll Kontakt zu den Vereinen und zur Polizei aufgenommen werden. "Die kennen die entsprechenden Leute ja", weiß Krutsch. Davon, etwa Bauzäune aufzustellen, um die beiden Lager zu trennen, hält er nichts. Denn die Menschen kämen nach dem Spiel, auf den Toiletten oder am Kiosk sowieso zusammen. "Wir wollen die Leute ja auch nicht in Käfige sperren."