Skandalöse Disqualifikations-Flut
Althaus weint und tobt, Horngacher außer sich: Deutsche erheben schwere Vorwürfe gegen die FIS

07.02.2022 | Stand 08.02.2022, 10:29 Uhr

Frustriert: Stefan Horngacher (l.) und Damen-Trainer Maximilian Mechler. −Foto: dpa

Karl Geiger erlebte das ganze emotionale Chaos bei Olympia innerhalb weniger Sekunden. Zunächst bejubelte Deutschlands Skisprung-Star seinen gelungenen Sprung, dann sah er die "Acht" aufleuchten und realisierte die folgenschwere Disqualifikation seiner Teamkollegin Katharina Althaus.

"Das war jetzt natürlich echt bitter, das muss man echt sagen. Bei Olympia fangen sie dann an, anders oder mehr zu messen. Für mich ist es ein Kasperletheater. Das ist nicht mehr im Sinne des Sports", schimpfte ein schwer geschockter Männer-Bundestrainer Stefan Horngacher im ZDF. Althaus war völlig niedergeschlagen und weinte.

Weil ihr Sprung wegen eines nicht regelkonformen Anzugs fehlte, schaffte es das Quartett in der Besetzung Selina Freitag, Constantin Schmid, Althaus und Geiger als Neunter nicht einmal in den zweiten Durchgang. "Bei der Katha war es der Anzug, der anscheinend zu groß war. Wir wissen nicht genau, was war", sagte Frauen-Chefcoach Maximilian Mechler.

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Kollege Horngacher übte scharfe Kritik am Weltverband FIS. "Der neue Kontrolleur hat die Kontrollen extrem verschärft – gefühlt auch sehr verschärft für die deutschen Skispringer. Das Prozedere Messung ist von der FIS nicht besser geworden, sondern schlechter", sagte Horngacher.

Auch Althaus erhob nach der skandalösen Disqualifikations-Flut schwere Vorwürfe in Richtung des Weltverbandes. "Wir haben uns so darüber gefreut, dass wir einen zweiten Wettkampf hier bei Olympia haben. Die FIS hat das mit dieser Aktion zerstört. Ich finde, die haben das Damen-Skispringen zerstört", sagte die 25 Jahre alte Oberstdorferin am Montagabend: "Ich weiß nicht, was die damit bezwecken wollen."

Althaus war eine von fünf Springerinnen, die bei der Premiere des Mixed-Events wegen eines irregulären Anzugs bestraft wurden. Deutschland verpasste dadurch den Einzug in den zweiten Durchgang und die mögliche Medaille. "Unsere Namen stehen jetzt alle da, wir haben einfach die Arschkarte gezogen. Damit macht man Nationen kaputt, Förderungen, und den ganzen Sport unfair", sagte Althaus Sie sei schon "so oft kontrolliert worden in elf Jahren Skisprung, und ich wurde kein einziges Mal disqualifiziert. Ich weiß, mein Anzug hat gepasst."

Bei der FIS hatte der finnische Materialkontrolleur Mika Jukkara zu Saisonbeginn im Männerbereich Sepp Gratzer abgelöst. Die Frauen werden von der Polin Aga Baczkowska kontrolliert, die auch am Montag beim Mixed im Einsatz war. Fünf Frauen wurden dabei disqualifiziert. Neben Althaus auch die Norwegerinnen Silje Opseth und Anna Odine Ström, die Japanerin Sara Takanashi sowie die Österreicherin Daniela Iraschko-Stolz.

Schon im Weltcup waren sowohl Severin Freund beim Vierschanzentournee-Springen in Oberstdorf als auch Team-Weltmeister Markus Eisenbichler in Bischofshofen disqualifiziert worden. "Wir haben gemessen an den anderen Nationen deutlich mehr Kontrollen über uns ergehen lassen müssen. Wir sind schon sehr verfolgt von diesen Kontrollen", sagte Horngacher.

Beim Anzug sind Faktoren wie Größe, Design und Dicke des Stoffes limitiert. Weil Althaus aus dem Wettbewerb genommen wurde, verpasste das DSV-Quartett den zweiten Durchgang.

Bei Olympia erwischte es nun Althaus. Bei Eurosport sagte Frauen-Chefcoach Mechler: "Die Besonderheit heute beim Mixed-Wettbewerb ist, dass auch die Männerkontrolleure dabei sind. Kein Ahnung, was genau war." Kollege Horngacher wurde angesichts der Vorgänge gar grundsätzlich: "Ich für mich muss mir überlegen, ob ich das Kasperletheater nächstes Jahr noch mitmache." Er sei sehr enttäuscht.

Bis zur Schocknachricht steuerte Deutschland auf eine Medaille zu. Auch, weil vor Althaus die Japanerin Sara Takanashi und die Österreicherin Daniela Iraschko-Stolz ebenfalls disqualifiziert worden waren. Deren Anzüge wurden später aber wieder kurzzeitig für regelkonform und dann wieder für irregulär erklärt. Es war ein konfuses Treiben bei den Winterspielen in Zhangjiakou, zeitweise blickte niemand mehr durch. "Ich habe es erst gar nicht mitbekommen. Boah, das ist echt eine harte Nummer. Das ist schon mega skurril, dass da drei rausgehauen werden", kommentierte Geiger. "Irgendwas ist komisch."

Nur Favorit Slowenien steuerte ohne große Probleme durch beide Durchgänge und sicherte sich mit klarem Vorsprung Gold. Silber und Bronze bei der abstrus anmutenden Konkurrenz holten sich das Team des Russischen Olympischen Komitees und Kanada. Für Deutschland endete eine famose Siegesserie: 2015, 2017, 2019 und 2021 wurden jeweils die WM-Titel in dieser Disziplin gewonnen. Bei der olympischen Premiere des Wettbewerbs sollte es nun nichts werden. "Das finde ich schon sehr fragwürdig, um nicht zu sagen skandalös. Das können wir alle nicht nachvollziehen", sagte Teammanager Horst Hüttel zur Althaus-Disqualifikation.

Mit Ausnahme der Silbergewinnerin waren schon die beiden Einzel eine Enttäuschung. Vor allem die Männer um den Weltcup-Gesamtführenden Geiger blieben weit hinter den hohen Erwartungen zurück. Der Allgäuer kam nicht über Rang 15 hinaus und wirkte im eiskalten Auslauf der modernen Olympia-Anlage ratlos und niedergeschlagen: "Ich bin halt gescheitert, aber so ist es. Lieber scheitere ich mit voller Entschlossenheit als halblätschig etwas zu probieren. So kann ich mir nichts vorwerfen."

Bei Kumpel und Zimmerkollege Markus Eisenbichler lief es noch übler. Er verpasste als 31. nicht nur den zweiten Durchgang, sondern auch die zusätzliche Medaillenchance im Mixed. Schon das erste Wochenende bei den Spielen in China hatte daraufhin gedeutet, dass es auf der Normalschanze von Zhangjiakou einfach nicht läuft. Während die Spiele für die Frauen um Althaus beendet sind, haben Geiger & Co. auf der großen Anlage noch zwei weitere Medaillenchancen.

− dpa/sid/red