Kesse Töne vom Wolff: "Jetzt muss man mal die Synagoge im Dorf lassen"

09.04.2014 | Stand 09.04.2014, 13:55 Uhr

Ein Mann, ein Ball – fehlt nur noch die Stimme: Aber genau die hat Wolff-Christoph Fuss, einer der besten deutschen Fußball-Kommentatoren berühmt gemacht. Und jetzt hat er ein Buch geschrieben. Worüber? Logo, Fußball. − Foto: Facebook

"Bei Ribery hat der Figaro nach Gehör geschnitten" – mit Sprüchen wie diesen hat sich Wolff-Christoph Fuss (37) laut Umfragen zum beliebtesten Fußballkommentator des Landes gequasselt. Im Interview mit der Passauer Neuen Presse spricht er über Reporterfreuden, Fehler und Konkurrenz. Und er verrät, warum der deutsche Fußball dieses Saison noch Grund zur Freude haben wird. Wenn Sie ein Fußballspiel zuhause anschauen, ärgern Sie sich dann über den Kommentator?

Wolff-Christoph Fuss: Natürlich ärgere ich mich manchmal. Da sitz ich auch und denk’ mir, warum kommt der denn mit dem Abseits nicht um die Kurve? Da bin ich ganz normaler Konsument.

Was sollte man als Sportreporter möglichst vermeiden?

Fuss: Es gibt so einen Sportreporter-Stehsatz. Ich hab als Kind immer gedacht, es gibt für Sportreporter ein eigenes Wörterbuch ,Chancen hüben wie drüben’ oder wenn bei Standardsituationen die ,langen Kerls vorne dabei sind’. Oder ,Sie haben den Schalter nicht umlegen können’. Ich rate Studenten immer, wenn ich Vorträge halte, so zu reden, wie sie zuhause auch reden. Natürlich im Rahmen der guten Sitten.

Nach einer aktuellen Umfrage sind Sie der beliebteste Kommentator. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Fuss: Ist das so? Na ja, ich halte mich nicht an bestimmte Leitlinien oder Rezepte. Ich neige jetzt nicht dazu, jemanden aus der Emotion heraus zu beleidigen, das macht die ganze Sache ein bisschen einfacher. Insofern kann ich guten Gewissens sagen, ich mach’s immer so wie mir der Schnabel gewachsen ist, also so authentisch wie möglich. Das Spiel muss immer im Vordergrund stehen und man selbst sorgt außen rum für ein bisschen Begleitmusik. Das ist also mehr so ’ne innere Leitlinie. Ich geh’ jetzt nicht in der Annahme durchs Leben, dass das alle super finden, was ich mache, dafür polarisiert man als Fußballkommentator zu sehr.

Ist es schon mal vorgekommen, dass was rausgerutscht ist, bei dem man sich danach gedacht hat: Oh je!?

Fuss: Das interessante an Live-Situationen ist, du hast eine Millisekunde. Dir fällt was ein und dann entscheidest du: Machen oder nicht machen. Und ich sag’ eigentlich immer erst mal machen. Dann sitzen häufig Leute mit Kopfhörern in der gleichen Reihe, die den Kommentar mitverfolgen und du siehst aus dem Augenwinkel die Reaktionen der Kollegen, die dich dann mit großen Augen angucken oder ein riesen Fragezeichen über dem Kopf haben. Als Bayern mal gegen Maccabi Haifa 1:0 gewonnen hatte, war danach im Stadion ein Tollhaus, als hätten die die Meisterschaft gewonnen. Da sagte "Ich lasse mich vom Spiel treiben" ich dann: Jetzt muss man aber mal die Synagoge im Dorf lassen. Da hab ich mir im Nachhinein gedacht: Kann ich das machen?

Gab’s Reaktionen?

Fuss: Ja, ein paar Wochen später, und das fand ich eigentlich sehr süß, kam ein Mitglied der jüdischen Gemeinde in München auf mich zu und sagte: Herr Fuss, ich muss ihnen ein Kompliment machen. Also der Spruch, wir haben herzlich gelacht.

Überlegt man sich solche Sprüche vorher?Fuss: Nein, das wäre tatsächlich auch am Thema vorbei. Ich lasse mich vom Spiel treiben. Wenn ich mir so eine Batterie mit 15 Sprüchen hinlege, dann kommentiere ich immer nur von Moment zu Moment. Das bin ich nicht.

Schauen Sie sich ihre Spiele im Nachgang nochmal an?

Fuss: Ab und zu. In der Regel immer dann, wenn mir oder anderen irgendetwas aufgefallen ist. Also bei dem Ding, als mir mal im Zusammenhang mit Schalke 04 ein S 05 rausgerutscht ist, da konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass ich das gesagt habe. Da habe ich mir das Spiel im Nachhinein nochmals angeguckt und war vom Donner gerührt. Das ist im Prinzip der Beweis dafür, dass ich das häufig gar nicht mitbekomme, was ich da von mir gebe.

Da waren Sie zumindest nicht der erste, dem das passiert ist?

Fuss: Ich sehe das auch im Nachhinein so, dass ich getauft worden bin. Das muss man, glaube ich, einmal durchhaben. Man hat als Frau wahrscheinlich seinen Job verloren und über den Typen wird herzlich gelacht: Kuck mal, dem Nachtwächter ist es auch passiert.

War das ihr größter Fauxpas?

Fuss: Ja, S05 und einmal Bauern statt Bayern. Das löst bei Nicht-Bayernfans Jubelstürme aus. Ich hab’s dann aber auch sofort wieder korrigiert. Das habe ich Gottseidank sofort gemerkt.

Ihr Buch heißt "Diese verrückten 90 Minuten". Was waren die verrücktesten ihrer Karriere?

Fuss: Ein Spiel herauszupicken ist praktisch unmöglich. Es gab viele verrückte. Das Champions-League-Finale 2012 zum Beispiel, aber auch das Halbfinale der Bayern in Madrid oder das Viertelfinale zwei Jahre vorher gegen Manchester United mit dem Robben-Tor. Die waren ja eigentlich mausetot. Oder Spiele wie Inter gegen Schalke 04. Dieses unglaubliche 5:2 – also das war wahnsinnig verrückt. Grundsätzlich, und das ist ja das Faszinierende, weiß man nie, was man in den 90 Minuten bekommt. Und irgendwas Verrücktes passiert eigentlich immer.

Schon klar, wer das kommende Champions-League-Finale kommentiert?

Fuss: Ist noch offen. Wir haben drei Finals. Keine Ahnung, wie man sich da am Ende entscheidet

Kann Bayern den Titel verteidigen?

Fuss: Unbedingt. Die haben die beste Mannschaft, den besten Kader und spielen im Moment den besten Fußball in Europa. Also ich sehe keinen Grund, warum Bayern den Titel bzw das Triple nicht verteidigen sollte. Gegen Manchester hatten sie 75 Prozent Ballbesitz, das ist Wahnsinn. Wenn sie im Rückspiel noch zielführender werden, wird das auch trotz der Ausfälle zu schaffen sein.

Wer ist die größte Konkurrenz?

Fuss: Also für mich das schwierigste Los wäre Chelsea. Es ist klar, dass die Bayern gegen jede Mannschaft mit mindestens 70 Prozent Ballbesitz spielt. Das spielt Chelsea in die Karten. Ihr Spiel ist extrem auf Reagieren ausgelegt.

Gibt’s Konkurrenz in der Bundesliga?

Fuss: Die sehe ich mittelfristig nicht. Ich denke, dass Bayern erneut mit namhaftem Vorsprung Meister wird.

Dortmund war nah dran, Wolfsburg gilt als ein möglicher Konkurrent in der Zukunft. Kann der VfL mal zu einer Konkurrenz heranwachsen?

Fuss: Dortmund ist noch immer nicht weit weg. Für 90 Minuten sowieso. Bei Wolfsburg ist die Frage, was Volkswagen bereit ist zu investieren. Die haben mit Hecking und Allofs Leute in der Verantwortung, die auch auf Nachhaltigkeit setzen. Natürlich könnte VW kommen"Bayern schlagen? Da reichen 250 Mio. nicht" und sagen: Da habt ihr 150 Millionen, baut mal ne Meistermannschaft auf. Aber am Ende ist das keine Garantie und zudem würde das die öffentliche Meinung und das Image von Wolfsburg massiv beeinflussen. Ich glaube, sie legen schon Wert auf Bodenhaftung und Außendarstellung. Und um die Bayern zu schlagen, reichen wahrscheinlich 250 Millionen nicht.

Wir haben die WM schon kurz angeschnitten. Sind sie vor Ort?

Fuss: Nein, zumindest nicht für die Live-Übertragung. Aber eine Fußball-WM ist auch von hier aus toll zu sehen, wie ein ganzes Land von einem sportlichen Großereignis infiziert ist.

Ist es ein Ziel, mal ein WM-Finale zu kommentieren?

Fuss: Ziel ist immer relativ, ich kann’s ja nicht beeinflussen. Es ist immer die Frage, ob ich bei einem Sender bin, der die Rechte hat. Aber klar, mit Deutschland Weltmeister zu werden, ist der ultimative Traum.

Würden Sie deswegen den Sender wechseln?

Fuss: Im Moment stellt sich die Frage nicht. Was in ein paar Jahren ist, kann ich nicht sagen. Natürlich ist es schön, mit der Nationalmannschaft eine WM zu bestreiten – ohne Frage. Der bessere Fußball – ich denke, da sind wir uns einig – wird in der Champions League gespielt, und da ist Sky ja mit allen Spielen dabei.

Haben wir Chancen auf den Titel?

Fuss: Natürlich, wer sonst?

Da würden mir einige einfallen…

Fuss: Mir auch. Aber eigentlich gilt das gleiche wie bei den Bayern. Ich finde, dass wir einen sehr starken Kader haben. Unsere zentrale Position ist die Sechs. Schweinsteiger ist in guter Verfassung, dann muss man gucken, wer spielt daneben. Gündogan wird es nicht schaffen, Sven Bender wird es auch nicht schaffen. Khedira ist für mich ein Fragezeichen. Aber dann spielt man halt mit Kroos und Schweinsteiger oder Lars Bender. Sagen Sie mir zwei bessere Sechser. Da muss man ein bisschen suchen, um welche zu finden, die zumindest gleichwertig sind.

Die Spanier sind da nicht schlecht besetzt…

Fuss: Das stimmt, die sind vielleicht auf der Sechs noch ’nen Halbtonschritt besser. Und dann entscheiden Kleinigkeiten. Wir sind auch im offensiven Dreiermittelfeld so gut aufgestellt wie eigentlich noch nie. Götze, Reus, Müller Özil, Podolski, Schürrle, etc. Und dann muss man sehen, was man im Sturm macht. Ich finde auch, dass Müller vorne drin eine gute Option ist. Ich würde Kießling mitnehmen, um noch eine zentralen Stürmer mit dabei zu haben. Aber man kann sich auch für Klose oder Gomez entscheiden.

Fassen wir kurz zusammen: Bayern gewinnt die Champions League und Deutschland wird Weltmeister?

Fuss: Dann war’s ein gutes Jahr. Und ich komm’ das nächste Mal wieder als Orakel von Delfi.

Interview: Andreas Geroldinger