Schrobenhausen
Jungwähler an die Macht

In Berlin schlüpften Schülerinnen der zehnten Klassen der Maria-Ward-Realschule in die Rollen von Abgeordneten

14.04.2019 | Stand 02.12.2020, 14:12 Uhr
Sie haben es nach Berlin geschafft: Schülerinnen der Maria Ward Realschule. −Foto: Christian Reil

Schrobenhausen (SZ) Neujahrskonzert des Bamberger Symphonieorchesters, Oktoberfest, Maibockanstich: Nein, die Maria-Ward-Schülerinnen aus Schrobenhausen sind nicht in Bayern, sie sind in Berlin, genauer gesagt in der Bayerischen Vertretung zwischen Bundestag und Bundesrat.

Nachdem sich die Zehntklässlerinnen erfolgreich für das Projekt "Lernort Staatsregierung" beworben und im Sozialministerium durch ihr Engagement überzeugt hatten, durften sie sich für eine Fahrt nach Berlin bewerben - und sie bekamen den Zuschlag.

Geklappt hatte es mit einem Foto zum Thema "Rollentausch". Sie traten mit Lehrerin Marie-Luise Failer als Feuerwehrfrau, Bauarbeiterin oder Kriminologin auf. Die Idee überzeugte die Jury der Landeszentrale für politische Bildung: Es kam eine Einladung nach Berlin.

Dort angekommen bot eine Stadtführung einen Überblick über die Besonderheiten der Hauptstadt. Ein schmackhaftes Mittagessen gab es dann in der Bayerischen Vertretung des Freistaates: Bayerische Hausmannskost, was sonst? Hier erfuhren die Mädchen auch, wie die Bundesländer Einfluss auf die Bundesgesetzgebung nehmen und so ihre spezifischen Länderinteressen vertreten können.

Das anschließende Planspiel im Bundestag war für viele der Höhepunkt der Fahrt. Die Schülerinnen sollten über einen Vorschlag der Bundesregierung, das Wahlalter herabzusetzen, entscheiden. Da im Bundestag weder 15- und 16-Jährige noch Schüler sitzen, mussten die jungen Damen ihre Identität wechseln. Sie erhielten ein neues Alter, einen Beruf, eine Partei- und Ausschusszugehörigkeit und manche sogar einen Doktortitel. Aus der Sicht ihrer Parteien sollten sie nun Stellung beziehen zu dem fiktiven Gesetzentwurf. Mit flammenden Reden versuchten sie, die für eine Grundgesetzsänderung erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten zu erreichen.

Verena Schleger, Mitglied der Bewahrungspartei, arbeitete im Jugendausschuss und bemerkte: "Ich war gewöhnliche Abgeordnete einer Fraktion, die der Opposition angehörte. Da man aber für die Herabsetzung des Wahlalters eine Mehrheit von zwei Drittel der Abgeordneten braucht, war uns schnell klar, dass es ohne Zustimmung meiner Partei nicht geht. Wir hatten einen Kompromiss vorgeschlagen. " Doch vergeblich: Nicht nur im Bundestag ist Fraktionsdisziplin ein hohes Gut, auch die Schülerinnen hielten sich mit großer Selbstverständlichkeit an die Vorgaben ihrer Parteien. Anja Pfaffinger: "Wir waren einen großen Schritt auf die Regierungsparteien zugegangen. Weiter konnten wir nicht gehen. Wir hätten sonst unseren konservativen Standpunkt total verlassen. " Da sich die Koalition kompromisslos zeigte, blieb schließlich alles beim Alten.

Paulina Mair bemerkte am Ende aus der Sicht einer der beiden Regierungsparteien: "Mich beschäftigt noch immer, dass wir es nicht geschafft haben, zwei Drittel der Abgeordneten zu gewinnen. Es fehlten nur zwei Stimmen. " Veronika Schaipp fasste zusammen: "Als 51-jährige Bankkauffrau in der Bewahrungspartei war es für mich spannend, die Sicht eines anderen zu vertreten. Ich hatte Probleme, im Sinne der Partei zu argumentieren, weil ich selbst anders dachte. Mir wurde bewusst, dass ich es wichtig fände, dass Jugendliche mehr Mitspracherecht erhielten. Es erscheint mir notwendig, dass Abgeordnete versuchen, die Anliegen ihrer Partei durchzubringen und nicht für ihre eigenen Anliegen kämpfen. " Abschließend waren sich die Schülerinnen einig: Das Planspiel war anstrengend, habe aber viel Spaß gemacht. Michelle Gottwald ergänzte: "Unsere Mitschülerinnen werden uns nicht glauben, wenn wir erzählen, was wir gemacht haben. "

Überraschend bekamen die Schülerinnen dann die Möglichkeit, sich mit echten Politikern zu vergleichen: Sie durften abends auf der Tribüne des Bundestages Platz nehmen und der von der AfD geforderten Aktuellen Stunde zum Fall Billy Six beiwohnen. Hier erfuhren sie, wie unterschiedlich Politiker aus den verschiedenen Parteien ihre Reden hielten. Frederike Suermann kommentierte: "In der Aktuellen Stunde stellen die Abgeordneten ausschließlich ihre Position dar und scheuten dabei auch vor groben Beschuldigungen nicht zurück. " Den Schülerinnen wurde klar, dass es in den Debatten nicht wie im Ausschuss darum ging, einen Kompromiss zu finden, sondern die Haltung der eigenen Partei der Bevölkerung klar zu machen.

Dem Tag der Politik folgte ein Tag der Geschichte. Jetzt besuchten die Schülerinnen das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit und die Gedenkstätte Hohenschönhausen. Tief betroffen lauschten die Mädchen den Schilderungen von zwei Häftlingen, die in DDR-Zeiten dort einsaßen und schließlich von der BRD freigekauft wurden. Mit einem Besuch im Reichstag und im Tränenpalast, heute Symbol der deutschen Teilung, früher Abfertigungshalle für die DDR-Ausreise, endete der Ausflug in die deutsch-deutsche Geschichte.