Eichstätt
Die wunderbare Welt der Viola da Gamba

Paolo Pandolfo und Thomas Boysen gestalten das Abschlusskonzert des Musikfests Eichstätt

13.05.2019 | Stand 23.09.2023, 6:59 Uhr
Kunst der Improvisation: Paolo Pandolfo und Thomas C. Boysen (rechts) im Holzersaal. −Foto: Klenk

Eichstätt (DK) Mal scheinen die Töne aus einem Schattenreich zu kommen, mal aus schimmernden Licht, grollend, huschend oder wie gesungen von einem menschlichen, aber irgendwie nicht realen Wesen. Die Luft im Holzersaal der Sommerresidenz schwingt im Spiel der Resonanzen und Obertöne. Mit seinem Ende versetzte das Eichstätter Musikfest seine Besucher noch einmal in eine ganz besondere Klangwelt: Die der Viola da Gamba.

Das im späten 18. Jahrhundert ausgestorbene Instrument hat dem breiteren Publikum erstmals der Film "Die siebte Saite" (1991) wieder ans Herz gelegt. Da geht es um Liebe, Tod und Trauer - sowie die Frage, was angesichts all dessen die Musik bedeutet. In einer Szene muss sich der junge Marin Marais vor dem Meistergambisten Sainte-Colombe beweisen: Nicht mit einem eingelernten Stück sondern mit improvisierten Variationen. Das spontane Spielvermögen ist es, was den Musiker ausmacht, es ist die Grundlage von Allem.

Keine Noten: Die Musik entsteht wie aus dem Nichts und verschwindet dort auch wieder - dazwischen aber lebt sich mit maximaler Intensität. Paolo Pandolfo, neben Jordi Savall und Hille Perl eine der großen Persönlichkeiten der Gambe, beherrscht und praktiziert diese Kunst der Improvisation wie kein anderer Musiker der Alten Musik. Wie aus ferner Vergangenheit holt er eine Tonfolge herbei, einen sogenannten "cantus firmus", schmückt ihn aus, variiert ihn und entwickelt daraus ein Musikstück von fesselnder, ekstatischer Ausdruckskraft. Unter Mitwirkung seines kongenialen Begleiters Thomas C. Boysen an der Theorbe erzeugt er auf seinen sieben Saiten eine fast orchestriert wirkende Klangfülle. Sodann zeigt das Duo, swingend und rhythmisch komplex, was man mit drei Akkorden, einer Gambe und einer Barockgitarre alles anfangen kann.

Nun erst braucht Pandolfo die Brille. Sainte-Colombe wird nach Noten gespielt, die allerdings wohl nur das Gerüst der eigenwilligen, melancholischen und doch vitalen Musik bilden. Die gezupften Akkorde zu Beginn der Chaconne verweisen auf das Motto des Konzerts: "La viole luthée". Mehr als die Violin-Familie ist die Gambe (selbst mit gestrichenen Saiten) in der Lage, Harmonien klingen zu lassen. So wie die Laute. Wie das auf einer Theorbe geht, zeigt Boysen höchst eindrucksvoll mit einer Chaconne von Robert de Visée: Bass, Begleittöne und Hauptstimme klingen wie von unabhängigen Instrumenten gespielt. Die vielgepriesene Nähe der Gambe zur menschlichen Stimme wird zur Offenbarung mit Pandolfos Interpretation von Marins "Tombeau pour Mr. de Ste. Colombe". Wie subtil er artikuliert, die Töne anschwellen lässt, mit Vibrato Nachdruck gibt, kleinste Phrasen mit größter Expressivität auflädt, ist große Gesangskunst und ergreift den Hörer im Innersten. Da ist auch dramatisches Pathos erlaubt, Akkordschläge wie Hiebe des Sensenmannes. Ja, Pandolfo spielt virtuos mit Extremen, auch in einer Eigenkomposition (oder gar Improvisation?), in der Alte und Neue Musik aufeinanderprallen, schräg, grandios, überwältigend. Das nennt er dann verschmitzt "ungewohnte Zugabe". Als solche gab es auch Marais' "Rêveuse", auf die die Filmfreunde wahrscheinlich die ganze Zeit schon gewartet haben. Begeisterter Applaus für ein spannendes Finale des diesjährigen Musikfests Eichstätt.?

Jörg Handstein