Appell für ein "Solnhofener Manifest"

23.10.2020 | Stand 02.12.2020, 10:17 Uhr
Druckhistoriker Harry Neß bei seinem Vortrag. −Foto: Kusche

Der Offenbacher Druckhistoriker Harry Neß, Vorsitzender des Internationalen Arbeitskreises Druck- und Mediengeschichte IADM, appellierte in einem leidenschaftlichen Vortrag, sich für den Erhalt analoger Drucktechniken als materielles und immaterielles Kulturerbe bei der UNESCO einzusetzen, so auch der Lithographie.

Seiner Meinung nach gehöre diese über zwei Jahrhunderte lang ausgeübte Drucktechnik zum europäischen Wertekanon und sei Teil unseres kulturellen Bewusstseins. Die Geburtsstunde der Lithographie und des Steindrucks am Anfang des 19. Jahrhunderts durch Alois Senefelder, so Neß, sei eine bahnbrechende Innovation gewesen. Denn Senefelder sei nicht von dem physikalischen Verfahren des Buchdrucks her gekommen, sondern kreierte ein chemisches Druckverfahren, den Flachdruck: "Er brachte die gesellschaftlich gespeicherten Erfahrungen mit dem Solnhofener Kalkstein, der Fettkreide, dem Papier, der Farbe, dem Wasser und der selbst konstruierten Reiberpresse in solch einem Verhältnis zusammen, dass daraus ein fast beliebig oft reproduzierbarer Abdruck mit Halbtönen hergestellt werden konnte", erläuterte Neß.

Zwar existierten noch die technologischen Artefakte für diese Drucktechniken. Doch das intellektuell und haptisch Überlieferte im qualifizierten Umgang mit Materialien und Technik, das vormals von einer Generation zur nächsten weitergegebene immaterielle Kulturerbe, sei in Gefahr, verloren zu gehen, so Neß. Das Verständnis und die Weitergabe des in diesem angesammelten Prozesswissens und Umsetzungskönnens leisteten heute fast nur noch Künstlerinnen und Künstler in kulturellen Nischen, bedauerte Neß. Dazu gehöre auch die professionell handwerklich arbeitende Künstlerin Li Portenlänger mit ihrer Lithographiewerkstatt, die sich in besonderer Weise durch ihr künstlerisch-materielles Können und zugleich immaterielles Wissen auszeichne.

Abschließend sprach der engagierte Druckhistoriker einen leidenschaftlichen Appell zugunsten des Erhalts dieses Kulturerbes aus. Zwar habe die UNESCO-Kommission die Drucktechnik (Hoch-, Tief-, Steindruck) 2018 bereits im weltweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Doch der Schritt zur offiziellen Anerkennung fehle noch. Die Region Eichstätt, in deren Solnhofener Steinbrüchen das Zentrum des Steindrucks liege, sieht Neß dafür in besonderer Verantwortung: "Es ist an der Zeit, von hier aus ein Solnhofener Manifest zu verfassen, das uns die innovative Kraft geben kann, für die noch ungewisse Zukunft der Multimediagesellschaft 4.0 gewappnet zu sein. "

ddk