München/Trier/Limburg
Bischöfe wollen Missbrauchsfall untersuchen lassen

28.04.2021 | Stand 06.05.2021, 3:33 Uhr
Georg Bätzing (r) und Stephan Ackermann. −Foto: Arne Dedert/dpa

So umstritten das Missbrauchsgutachten aus dem Bistum Köln war, so spät es auch kam - es hat Kriterien erarbeitet, an denen Bischöfe ihr Verhalten im Missbrauchsskandal jetzt messen lassen müssen. Das bringt nun gleich drei prominente Bischöfe unter Druck.

Drei prominente katholische Bischöfe wollen in einem Missbrauchsfall, an dessen Bearbeitung sie alle beteiligt waren, Verantwortung übernehmen. Dabei handelt es sich um den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Georg Bätzing, seinen Vorgänger im Amt, Kardinal Reinhard Marx, und den DBK-Missbrauchsbeauftragten Stephan Ackermann.

„Die Bischöfe und die anderen an diesem Fall maßgeblich Beteiligten wollen sich ihrer Verantwortung stellen“, hieß es am Mittwoch in einer gemeinsamem Erklärung ihrer katholischen Bistümer Limburg und Trier sowie des Erzbistums München und Freising. Zuvor hatte der Münchner Kardinal Marx sich in der „Zeit“-Beilage „Christ & Welt“ für die Aufarbeitung des Missbrauchsfalls aus seiner Zeit als Bischof von Trier ausgesprochen.

Der Mitteilung der Bistümer zufolge geht es in dem Fall um einen Priester, gegen den mehrere Vorwürfe sexueller Gewalt vorliegen. Laut „Christ & Welt“ wurde der betreffende Priester über Jahre hinweg nicht aus dem Verkehr gezogen und konnte weiterhin beruflichen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen pflegen, obwohl es mehrere einschlägige Anzeigen gegen ihn gegeben habe.

Der heutige Kardinal Marx war 2006, als es erstmals Berichte über den Priester gab, Bischof von Trier. Ackermann, der dort heute Bischof ist, war damals als Weihbischof Mitglied der Personalkommission. Und der heutige DBK-Chef und Bischof von Limburg, Bätzing, war 2006 als Regens Mitglied der Personalkommission im Bistum Trier und später als Generalvikar mit dem Fall befasst.

„In der Tat sind im Verlauf der Bearbeitung dieses Falles Fehler passiert, sowohl im Umgang mit Betroffenen als auch in der Handhabung der Bearbeitung. Die damals und heute im Bistum Verantwortlichen haben dies mehrfach öffentlich eingeräumt und ausdrücklich bedauert“, ließen die drei Bischöfe über ihre Sprecher mitteilen. Sie hofften nun auf Empfehlungen der Aufarbeitungskommission in Trier, welche Konsequenzen gezogen werden müssten. „Für mich ist klar: Auch Unwissenheit bei falschem Handeln bzw. Unterlassen verhindert nicht, dass Verantwortung und auch Schuld vorliegen und übernommen werden müssen“, teilte Marx „Christ & Welt“ schriftlich mit.

Was wussten die Bischöfe? Diese Frage hat sich zu einer zentralen entwickelt im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche. Und so umstritten das jüngst vorgestellte Missbrauchsgutachten aus dem Bistum Köln auch war, so spät es auch kam - es hat Kriterien aufgestellt, an denen deutsche Bischöfe sich nun messen lassen müssen.

„Christ & Welt“ hat genau diese Kriterien für Fehlverhalten oder Pflichtverletzungen an den bereits seit längerem bekannten Fall angelegt - und anhand dieser Kriterien vor allem Marx' Rolle darin untersucht. „Legt man die neuen Maßstäbe des Kölner Gutachtens an, könnte Marx als Bischof von Trier 2006 in mehrfacher Hinsicht seine Pflichten verletzt haben“, heißt es in dem Artikel.

„Aus heutiger Sicht hätte ich veranlassen müssen, dass wir - auch um zu prüfen, ob der Vorwurf auch kirchenrechtlich verjährt ist - als Bistum die Akte der Staatsanwaltschaft anfordern und die Vorwürfe in einer eigenen kirchenrechtlichen Voruntersuchung verfolgen“, räumte Marx in der „Zeit“-Beilage ein. „Mein Verhalten damals bedauere ich sehr“, zitiert „Christ & Welt“ den Kardinal. Auf die Frage, ob er Taten hätte verhindern können, habe Marx geantwortet: „Die Frage geht auch mir nach.“

Marx hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Dienstag, nach Protest von Betroffenen, darum gebeten, ihm das Bundesverdienstkreuz, das er in dieser Woche bekommen sollte, nicht zu verleihen. Diese Entscheidung, so betonte Marx' Sprecher in München auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, soll mit der Veröffentlichung in der „Zeit“-Beilage aber nichts zu tun haben.

Im Interview der Zeitschrift „Publik-Forum“ (Freitagsausgabe) betonte Marx, wie wichtig es sei, Verantwortung zu übernehmen: „Es gibt die persönliche Verantwortung, die man nicht kleinreden darf. Aber es gibt auch die Verantwortung der Institution als solche, für die ich als Bischof auch einzustehen habe. Es kann nicht sein, dass ich erst dann verantwortlich bin, wenn mir etwas nachgewiesen wird“, sagte er. Man dürfe „die Katastrophe auch nicht kleinreden“.

Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland war 2010 erstmals aufgedeckt worden. Wie sich herausstellte, hatten Priester seit 1945 Tausende von Kindern sexuell missbraucht. Nur ein winziger Bruchteil der Taten wurde strafrechtlich verfolgt. Mehrere Gutachten haben inzwischen nachgewiesen, dass Bischöfe und andere Amtsträger die Taten meist zu vertuschen suchten, um einem Ansehensverlust der Kirche vorzubeugen.

Der frühere Leiter der Studie über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche, Harald Dreßing, sieht in Marx' Verzicht auf das Bundesverdienstkreuz, „dass der Aufarbeitungsprozess immer noch in einem sehr sensiblen Stadium“ ist. Der „Augsburger Allgemeinen“ (Donnerstag) sagte er: „Auch hier zeigt sich ein typisches Muster im Aufarbeitungsprozess: Eine Reaktion erfolgt erst auf Druck von außen.“

Der nun wieder in den Fokus geratene Fall sei sehr komplex, hieß es in der Mitteilung der drei Bistümer. Es habe mehrere staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren und zwei kirchenrechtliche Voruntersuchungen gegeben. Die Betroffenen hätten noch keine Anerkennungszahlungen bekommen, „weil im kirchlichen Strafverfahren noch keine richterliche Entscheidung ergangen ist“. Das Verfahren liege derzeit beim Kirchengericht in Köln.

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